Die Horten Collection: permanente und wechselnde Akzente

Ausstellungsansicht Klimt ⇄ Warhol Foto: Ouriel Morgenstern. © Heidi Horten Collection

Der Hanuschhof in Wien beherbergt die 2022 von Privat der Stadt Wien übertragene Kunstsammlungen von Heidi Goës-Horten. Die Sammlerin knüpfte bei der Zusammenstellung an Werke der klassischen Moderne an, die noch aus der Zeit ihrer ersten Ehe mit Helmut Horten stammte. 1987 begann sie mit dem systematischen Ausbaut des Bestandes und konzentrierte sich dabei zunehmend auf Gegenwartskunst. Mit der Übergabe der Sammlung an die Stadt Wien hat zugleich der von Robert Oerley als Remise errichtete Hanuschhof eine Transformation erfahren, veranlasste doch die Sammlerin einen grundlegenden Umbau, so dass schließlich von den verschiedenen aufeinander folgenden Nutzungen des Gebäudes als Badeanlage, Wäscherei und Ateliers nichts mehr zu merken ist.

Die aktuelle Hängung im Hanuschhof greift die Sammeltätigkeit auf, indem sie Korrespondenzen zwischen den Werken aufzeigt. So kommt etwa ein Gemälde mit Rehen von Franz Marc unmittelbar neben einem Werk von Roy Lichtenstein zu hängen, der sich offenkundig bei seiner Arbeit an Marc orientierte und lediglich das Motiv stilistisch der ihm eigenen Pop Art anpasste. Ebenso überraschend wie überzeugend ist die Zusammenführung einer Arbeit von Lucio Fontana mit einer formal praktisch gleichen Arbeit von Maurizio Cattelan. War Fontana mit seinen als „Conceto spatiale“ bezeichneten durchstoßenen oder geschnittenen Leinwänden bekannt geworden, mit denen er zeigen wollte, dass ein Gemälde nicht nur in seiner Fläche besteht, sondern als räumliches Gebilde zu betrachten ist, ist Cattelan im kunstgeschichtlichen Kanon vor allem durch seine skurrilen Skulpturen und Installationen bekannt. Erinnert sei hier an die Installation, die das Oberhaupt der katholischen Kirche in vollen Ornat zusammengebrochen neben einem Öltank zeigt. Cattelan hatte die Arbeit für die Biennale in Venedig konzipiert und als Ort das Arsenal mit den Spuren seiner alten Funktionen gewählt. Seine Arbeit in der Horten Collection besteht nun in einem Gemälde, dessen Leinwand mit einem z-förmigen Schnitt durchzogen ist. Zwischen den beiden motivisch und formal korrespondierenden Werkgruppen hängen einige der scheinbar gleichförmigen und doch im Einzelnen variierenden Blumenbilder Warhols und einige frühe Arbeiten von Jean-Louis Basquiat. Aus letzteren wird die Nähe Basquiats zur Pop Art deutlich, die sich bei seinen späteren Arbeiten verliert.

Es sind dies nur wenige Beispiele, die um Arbeiten von Georg Baselitz, Marc Chagall, Anselm Kiefer, Paul Klee, Yves Klein, Gustav Klimt, René Magritte und viele weitere bedeutende Vertreter der Kunst des 20. Jahrhunderts zu ergänzen wären. Immerhin umfasst die Sammlung aktuell ein Konvolut von rund 700 Arbeiten, das stetig anwächst. Bei der aktuellen Hängung unter dem Stichwort „Von Warhol bis Klimt“ hat sich das Haus auf „Lieblingswerke“ des Publikums konzentriert. Um diese zu ermitteln, ging der aktuellen Schau eine Befragung voran, bei der Besucher die von ihnen präferierten Werke benannten.

Die hier zum Ausdruck gebrachte Hinwendung zum Publikum kommt aber noch an anderer Stelle zum Ausdruck, nämlich der Raumausstattung. Zwischen den Gemälden treten Möbel in Erscheinung, doch so dezent, dass sie den Kunstwerken nicht die Schau stehlen. Gleichsam als Schattenobjekte heben sie sich verhalten von der Wand ab und tragen lediglich dazu bei, dem Ausstellungsraum ein wohnliches Ambiente zu verleihen. Mit dem Konzept verbindet sich die Erinnerung daran, dass die von einer privaten Person angelegt wurde. Die Kunstwerke befanden sich in ihren Wohnräumen und waren so Teil des täglichen Lebens der Sammlerin. Zugleich wird aber auch deutlich, wie verschiedene Kunstformen zueinander in Beziehung treten und damit die längst aufgehobene Trennung von angewandter und freier Kunst ein weiteres Mal demonstriert wird. Die als „Wandarbeiten“ zu bezeichnenden gemalten Möbel und Ausstattungsgegenstände stammen von Martin Schinwald, der 1973 in Salzburg geboren, sich zunächst der Mode, dann Fotografie, Video und Performance zuwandte.

Ausstellungsansicht mit Möbel von Markus Schinwald. Foto: Ouriel Morgenstern. © Heidi Horten Collection

Der Bezug zum Raum, der schließlich die gesamte Sammlung und ihre Ausstellung im Hanuschpalais in ein einziges Gesamtkunstwerk überführt, ist eines der leitenden Prinzipien, die konsequent über Raum und Zeit beibehalten wird. So sind sämtliche Toilettentrakte auf jeder Etage mit wandhohen Spiegeln ausgestattet, bei denen es sich um Werke von Andreas Duscha handelt. Der Künstler hat jeden der Spiegel mit Blumenmotiv versehen, das auf jeder Etage einer eigenen Thematik zugeordnet ist. So erinnern beispielsweise die Nelken an die Symbolik der friedlichen Revolution, während auf der Etage darüber die Blumen invasive Entwicklungen in Erinnerung rufen wollen. Nicht nur demonstriert Duscha hier im Rückgriff auf eine venezianische Technik ein den Dingen immanentes Eigenleben, sondern ebenso kehrt er die rätselhafte Undurchdringlichkeit des Spiegels hervor, dessen schwärzliche Einschreibungen Spuren eines vergangenen Gebrauchs zu sein scheinen, palimpsestgleiche Ablagerungen einer vergängigen Zeit. All diese neben den Sammlungsstücken bedachten Details, gleichsam die scheinbar randständigen Aspekte, die nicht mehr zur Ausstellung gehören und doch wesentlich das Schauen beeinflussen, tragen dazu bei, dass die Aufmerksamkeit gelenkt und durch ständig neue Ausrichtung lebendig gehalten wird. So gliedert sich die als temporäre Schau konzipierte zweite Etage organisch dem Gang durch die ständige Sammlung an. Ausgewählt sind explizit mit Licht, Geräusch und sogar Geruch verbundene Werke, häufig die Lichteffekte mit solchen von Geräuschen gekoppelt. So erschließt jedes Werk einen neuen Klangraum. Bei Carsten Nicolai wird er über Kopfhörer zugänglich, wobei die Klänge durch eine Auswahl von Schallplatten bereitgestellt werden. Diese vom Künstler als eigenes Klang-Archiv konzipieren Platten unterscheiden sich nicht nur von ihren Klängen her, sondern ebenso ihrer Farbigkeit, ist doch lange mit Zelluloid konnotierte das Schwarz alter Schallplatten durch ein modernes Material ersetzt, das leuchtendes Rot, Grün oder Gelb aufweist. Auch dort, wo nicht zwangsläufig ein Geräusch zu erwarten ist, wie beispielsweise bei der Deckenskulptur, die Hans Kupelwieser aus verbogenen Aluminiumblechen gefertigt und mit einer matten und doch schillernden roten Farbe beschichtet hat.

Hans Kupelwieser: Deckenrelief, o. T., 2022, Foto kunst-dokumantation.com/Manuel Carreon Lopez Heidi Horten Collection. Bildrecht, Vienna 2022

Neben den internationalen Vertretern der Licht- und Klangkunst wie Dan Flavin, Olafur Eliasson findet sich auch die österreichische Szene vertreten, was wiederum bedingt, dass die Horten Collection nicht als eine unter vielen Sammlungen erscheint, die einem geläufigen und vom Kunstmarkt diktierten Sammelkonzept folgen, sondern durchaus eine eigene Note hervorkehrt. Zu nennen ist etwa Bernhard Leitner mit Sepentinata aus dem Jahre 2006, ist weiterhin Brigitte Kowanz mit gleich mehreren Lichtwerken und nicht zuletzt Martin Walde, dessen aus Glas geblasenen Objekte an die für naturkundliche Museen bereitgestellten Glasmodelle von Leopold und Rudolf Blaschke erinnern. Sind die Blaschke-Exponate kaum noch in Museen gegenwärtig, belebt Walde die wundersame Welt der Mikroorganismen. Gegenüber ihren Vorbildern, die ebenso in Erich Haeckels Formen der Natur zu suchen sind wie in makroskopischen Aufnahmen von Einzellern, Zellentierchen und anderen dem bloßen Auge nicht zugänglichen Wesen, haben sie bei Walde stattliche Ausmaße angenommen, die zudem geheimnisvoll leuchten und im Leuchten das Schwingen ihrer tentakelartig ausgreifenden Fäden und Fasern zur Schau stellen.

Martin Walde: Glasobjekt. © Horten Collection

Licht und Klang reiht sich als weiterer sinnlicher Aspekt der Geruch an. Er strömt von einem mit Nelkenpulver in ein Netz gehängtem Gefäß in der Installation von Ernesto aus, ebenso aber auch von der mit leuchtenden Linien durchzogenen Metallkugel von Helga Griffiths. Mit Migratory Sense will die Künstlerin, wie im Titel ihrer Arbeit bereits anklingt, einen Geruch wachhalten, der sich mit einer durch Flucht verlorengegangenen Heimat verbindet. Entwickelt hat sie so den Duftstoff für ihre Skulptur zusammen mit dem aus Syrien geflohenen Muhammad Szizi. Er verbindet sich mit Erinnerungen an Damaskus oder will diese Erinnerungen wieder wachrufen.  

Untranquil now. Eine Konstellation aus Erzählungen und Resonanzen. Künstlerische Gesten, Performances und Projektionen

Hamburger Kunsthalle, 30. Mai 2014 bis 19. Januar 2025

Die mit dem wenig konkreten Titel Untranquil angekündigte Ausstellung in der Galerie der Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle versammelt knapp 50 Arbeiten, die als repräsentativ für die internationale zeitgenössische Kunst gelten können, sofern man angesichts der Fülle, die das Zeitgenössische zu bieten hat, überhaupt von repräsentativ sprechen kann. In jedem Fall erfüllen die Arbeiten, was der Titel verspricht: ein multimediales Gesamtereignis, in dem mit Installation, Zeichnung, Malerei, Video und Sound verschiedene Positionen zur Sprache kommen. Die vertretenen Künstler sind keine Unbekannten, vielmehr einem breiten Publikum bereits durch Teilnahmen an Biennalen, unter anderem in Venedig, Sidney oder im Whitney Museum, oder Ausstellungen in der mit Exponaten aus der Sammlung von François Pinault bespielten Börse in Paris bekannt. Etliche von ihnen waren oder sind auch in Deutschland präsent, so bei der documenta in Kassel, bei Ausstellungen im Haus der Kulturen der Welt in Berlin oder durch einen Stipendienaufenthalt auf Schloss Solitude bei Stuttgart.

Bei aller medialen Vielfalt eint die Arbeiten ein explizit narrativer Anspruch, der sich aus einer literarischen Quelle, einer Legende, einem Märchen oder einem Volksbrauch ableitet. Selbst dort, wo, wie bei zunächst ganz von den Lauten getragenen Arbeit von Nasrin Tabatabais & Babak Afrassiabis Labour Lung die auditive Erfahrung im Vordergrund steht, liegen literarische Texte zugrunde. In diesem Falle sind es Passagen, die die Empfindungen des Opiumrausches beschreiben. Im Raum mischen sich die über mehrere Lautsprecher verstärkten Geräusche einer Lunge. Tatsächlich sind es nicht die einer echten Lunge, sondern die einer computertechnologischen Simulation. Computertechnologisch überformt sind auch die Arbeiten von Alexander Schellow, bei denen das Bild in Pixel zerfällt. Dabei gehen die beiden in die Ausstellung aufgenommenen Arbeiten Sie und Spots von Zeichnungen des Künstlers aus, und zwar umfangreichen Serien, die Zeiträume von Jahren abstecken und animiert und digital komprimiert als flimmernde Bildsequenzen zugänglich werden. The Liminal Archive von Limbo Accra wiederum macht sich die medialen Möglichkeiten zunutze, um die Unwirklichkeit von geplanten, konzipierten, jedoch letztendlich nicht ausgeführten oder niemals vollendeten Architekturprojekten zu veranschaulichen. Die auf drei vor Projektoren gespannten Bildschirme zeigen Negative von Filmbilder, auf denen sich hell vor dunklem Grund gespenstisch die Formen von Gebäuden abzeichnen, um sich im weiteren Filmverlauf aufzulösen, buchstäblich vor den Augen des Betrachters zu zerfallen und schließlich den Raum freigeben für das Aufwachsen einer neuen Architektur. Alle zeugen von Fantasien, denen sich Personen mit Einfluss hingaben. Unvollendet, umgeformt oder abgewertet werden sie zugleich zu Zeugen eines Wettlaufs mit der Zeit.

Doch keineswegs dominieren die Ausstellung digitale Welte. Immer wieder treten in den durchweg komplexen Installationen tradierte Techniken wie Malerei oder Zeichnung hinzu. Anri Sala beispielsweise kombiniert seine Aquarelle geografischer Formationen mit Kupferstichen, die der Fauna und Flora der von ihm mit Farben umrissenen Regionen korrespondieren. Coco Fusco begleitet ihre Völkerschauen parodierende Performance The undiscovered Amerindians mit einer Serie von Kupferstichen, die in der Manier von Karikaturen abgefasst sind, wie sie im 19. Jahrhundert die französische Presse als Kommentare zu den Akademie-Ausstellungen publizierte. Auf diesen Stichen, die Cusco mit kurzen, an Comicstrip oder Bildergeschichten erinnernden Texten versieht, beschreibt sie die Reaktionen der indigenen Besucher auf das im Käfig posierende Künstlerduo. Weniger komplex und sich ganz auf Malerei konzentrierend zeigt Hyun-Sook Song mit Pinselstrich-Diagramm genau das, was der Titel der Arbeit benennt: einen grandiosen Pinselstich, der über die Leinwand gezogen das Motiv einer bewegten, halb von einem Vorhang verborgenen Figur suggeriert. Doch bleibt es bei der Suggestion, denn letztendlich zeigt das Gemälde nicht mehr und nicht weniger als reine Malerei, die harmonisch helle Braun- und Rosatöne und dabei einen schier unendlichen Sehraum zu öffnen. Die Arbeit mit ihrer impliziten Aufforderung zum bloßen Schauen könnte zugleich als Motto für die Ausstellung gelesen werden: Schauen und Betrachten frei von theoretischem Ballast. Tatsächlich erschließen sich die Arbeiten in der Betrachtung, was für zeitgenössische Positionen nicht die Regel ist. Sie zeigen, wie sich schauend der Blick weitet, wie sich das Gesehene mit Erfahrungen vermengt und Erinnerungen aufruft, die auch die literarischen Quellen einbeziehen. Wer sich schauend auf die Exponate einlässt wird auf einige Motive stoßen, die sich wie Leitmotive durch die Ausstellung ziehen, so etwa die Blume, die Gegenstand von Eric Baudelaires Videoinstallation ist, und die sich in Paola Yacoubs Video Les fleurs du Damas wiederfindet. Durchweg narrativ ausgerichtet, binden viele Arbeiten literarische Texte ein. So folgt beispielsweise Dora Garcias Installation The Bug, deren auf schwarzen Holztafeln aufgezeichnete Instruktionen für eine Performance dem Stück Die Wanze von Vladimir Majakovskij. Eric Baudelaires aus mehrere über den Raum verteilten Bildschirmen bestehende Videoinstallation orientiert sich an der Erzählung Der Mann mit der Blume im Mund von Luigi Pirandello. Oder Peter Friedls Report, in dem die nacheinander auftretende Protagonisten einen Monolog in ihrer Landessprache vortragen, ist von Franz Kafkas Ein Bericht für eine Akademie inspiriert.

Kombiniert sind die für die Ausstellung Untranquil now ausgewählten Arbeiten mit solchen aus der Sammlung in der Kunsthalle, so dass deutlich wird, wo bestehende Tendenzen aufgegriffen und fortgesetzt werden und wo Grenzen zeitgenössischen Kunstschaffens neu abgesteckt werden. Wer sich dem Dialog der neuen Arbeiten mit denen der Sammlung stellen möchte, hat lediglich vom Ticketschalter im Hauptgebäude aus der Ceiling Snake von Jenny Holzer zum Sockelgeschoß der Galerie der Gegenwart zu folgen, um über die von der Decke im Lichthof abhängenden Installation von Rosa Barba zur Ausstellung auf der zweiten Etage geleitet zu werden. Unbedingt einzuplanen ist ein ausreichendes Zeitbudget, da ihrer Natur gemäß allein die diversen Videos ihr Tribut fordern.

Die in der Ausstellung zusammengeführten Arbeiten hätten eine etwas konsistenter Aufbereitung verdient, etwa bei der Angabe von Herkunft und Geburtsdatum der Künstler. Und wenn schon die die Arbeiten begleitenden Texte in den Ausstellungsräumen wegen der notwendigen Abdunkelung kaum oder nur mühsam zu lesen sind, wären es hilfreich gewesen, wenn das Blatt mit dem Raumplan neben den Künstlernamen auch die Titel der Arbeiten aufgeführt hätte. Die Rückseite hätte dafür in jedem Fall Platz geboten. Hingegen fällt nicht ins Gewicht, dass Einladung und Ausstellungsankündigung Namen aufführen, die dann letztendlich doch nicht in der Ausstellung zu finden sind, so John Akomfrah, Au Sow Yee, Lucinda Childs, Ângela Ferreira, Joan Jonas oder Apichatpong Weerasethakul und Tomoko Sauvage. Sie lassen ahnen, welche Schwierigkeiten sich bei Akquise, Organisation und Umsetzung stellen und das mach anfänglich Geplantes letztendlich doch nicht zur Umsetzung gelangt. Die Ausstellung ist in jedem Fall reich und anregend.

Auf dem Weg zu Untranquil now sollte nicht die von George Adéagbo als Hommage an Aby Warburg ausgerichtete Ausstellung im Harzen-Kabinett im Sockelgeschoß außer Acht gelassen werden. Seinen Prinzipien der Kombination aus Fundstücken, Zufallsfunden und gezielt Gesuchtem und Zusammengetragenem folgend erklärte Adéagbo das Sammeln an sich zum Kunstwerk. Fanden seine ersten Sammlungen in der Garage seines Wohnhauses Ausstellung sind sie spätestens seit dem Auftritt des Künstlers bei der documenta X Gegenstand von renommierten Ausstellungshäusern. Und wer nach der Konstellation aus Erzählungen und Resonanzen. Künstlerische Gesten, Performances und Projektionen noch Muse hat, findet mit den farbenfrohen Objekten von Kathleen Ryan im Erdgeschoß des Ungers-Baus ein skulptural-visuelles Pendant zu den auf Projektion beruhende Arbeiten der Ausstellung Untranquil now.

Das Tove-Projekt, nach »Kopenhagen-Trilogie« und »Gesichter« von Tove Ditlevsen in einer Bearbeitung von Joanna Bednarczyk und unter der Regie von Ewelina Marciniak

Schauspiel Frankfurt

Der Stoff für das von Joanna Bednarczyk für die Frankfurter Bühne konzipiere Stück findet sich in den Lebenserinnerungen der 1918 in Kopenhagen geborenen Dichterin Tove Ditlevsen. Aufgeteilt nach Kindheit, Jugend und Sucht hat sie zwischen 1967 und 1971 ihre Autobiografie veröffentlicht. Vor allem der Titel des dritten Teils verrät, welchen Lauf ihr Leben nimmt. Aufgewachsen in einem Arbeiterviertel sieht sich Ditlevsen von Anbeginn den in ihrem Milieu festgeschriebenen Geschlechterrollen konfrontiert. Und diese besagen, dass eine Frau nicht Dichterin werden kann. An diesen starren Vorstellungen zerbricht Ditlevsen letztendlich. Nach ihrem frühen Schulabschluss arbeitet sie in wechselnden Stellungen als Haushaltsgehilfe, als Küchenmädchen, als Lager-, schließlich auch als Bürokraft und Sekretärin. In ihrer freien Zeit widmet sie sich dem Verfassen von Gedichten, nicht zuletzt ermutigt durch die Bekanntschaft mit einem Antiquariatsbuchhändler. In dieser Beziehung erlebt sie zum ersten Mal als Person mit ihrem Fähigkeiten wahr- und ernstgenommen, nicht aber als Frau geliebt zu werden.

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Künstlerbuch oder Künstlerpublikation? Lia und Dan Perjovschi. Autodrawings und Endless Collection, Kunsthalle Göppingen 2003

Dan Perjovschi ist spätestens seit der 48. Biennale 1999 in Venedig und der documenta fifteen 2022 in Kassel einem breiten Publikum durch seine Zeichnungen im öffentlichen Raum bekannt – Wortgebilde im wahrsten Sinne, semiotische Verflechtungen aus verbal- und bildsprachlichen Zeichen. Die Darstellungen gleichen in ihrer Einfachheit schnell auf Hauswände gesprühten Slogans, greifen aber mit Witz und Anspielungen weiter. Auf einfachste Formen, zumeist Konturen reduziert erscheinen sie allgemein verständlich, sind gleichwohl aber voller Anspielungen, nicht zuletzt solchen, die aus Buchstaben- oder Silbenumstellungen wie auch der Verknüpfung von Bild- und Textzeichen resultieren. Mit dieser scheinbar einfachen und zugleich höchst komplexen Äußerungsform schreibt sich der Künstler in einen öffentlichen Diskurs ein, der, wie er wiederholt deutlich macht, den Stellenwert von Kunst innerhalb eines von Politik und Ökonomie bestimmten Gesellschaftssystems deutlich macht. Allerdings beansprucht Perjovschi keine Deutungshoheit für sein Werk. Im Gegenteil ist es geradezu dafür prädestiniert, unter unterschiedlichen Blickwinkeln erfasst und verstanden zu werden. Eine solche Auseinandersetzung mit dem Werk des Künstlers begründet sich aus ihrem reaktiven, orts- und zeitspezifischen Ansatz.

Den Wandzeichnungen, die Perjovschi seit den frühen 1990er Jahren im öffentlichen und halböffentlichen Raum in den Museen westlicher Länder ausgeführt hat, geht eine Entwicklung voraus, die sich mit der Biografie des Künstlers im repressiven System Rumäniens verknüpft, die aber wesentlich die Besonderheit der Zeichnungen und ihrer Genese begründet.

Dan Perjovschi. Autodrawing, 2003

Neben die Wandzeichnungen treten als Vermittlungsform seiner künstlerischen Programmatik die vom Künstler konzipierten Bücher. Sie entstehen häufig im Rahmen von Ausstellungen, doch nicht anstelle eines Ausstellungskataloges, sondern vielmehr als mobile und permanente Erweiterung der auf der Wand getroffenen Äußerungen. Über einen zweifachen Transfer finden so die ursprünglich in Notiz- und Skizzenbüchern festgehaltenen Impressionen und Reflexionen über die Wand zurück ins Buch. Die Buchdoppelseiten ersetzen gleichsam die Wand. Die Zeichnungen im Buch nehmen in gleicher Weise wie die Wandarbeiten neben Alltagspolitischem auch Bezug auf den unmittelbaren Kontext des Ausstellungsortes, daneben aber auch allgemein sozio-politische Belangen und vor allem der Stellenwert von Kunst in einem von wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen bestimmten System. Über den spezifischen Ortsbezug hinaus thematisiert der Künstler in beiden Publikationen seine Beobachtungen am Kunstsystem.

Werner Meyer von der Kunsthalle Göppingen lernt das Künstlerpaar 1996 bei einer der ersten Veranstaltungen von Open Studio in Bukarest kennen. Open Studio ist ein von Lia und Dan Perjovschi organisierter Multifunktionsraum, in dem Ausstellungen, Konferenz und Gespräche stattfinden, an der Kuratoren und Künstler aus London und New York teilnahmen.

Lia Perjovschi: Endless Collection, 2003

Im Rahmen der von Meyer für die Kunsthalle Göppingen organisierte Ausstellung Endless Collection erscheinen mit Blick auf die von beiden Künstlern gezeigten Werkbeispiele mit zwei Publikationen, von denen Autodrawing Zeichnungen von Dan Perjovschi zeigt, während die unter dem gleichen Titel wie die Ausstellung gestellte Publikation Einblick in Lia Perjovschis archivalische Arbeiten gibt, die zum einen an das von ihr 1991 ins Leben gerufene CAA, das Contemporary Art Archive aufgreifen, mit dem sie einen Überblick über die zeitgenössischen nicht offiziellen Aktivitäten von Künstlern zu kommunistischen Zeiten geben will. Im Mittelpunkt von Endless Collection steht das Motiv des Globus, das als in den unterschiedlichsten Ausformungen in Lia Perjovschis Sammlung aufgenommen wird. Das im Rahmen der Ausstellung erschienene Buch wird nun selbst zum Sammlungsraum, der über die Ausstellung hinaus bestehen bleibt.

Licht, Luft, Papier und Wand – Arbeiten mit dem Raum oder Fritz Balthaus‘ Poststudio

1982 erscheint ein Buch mit dem vielsagenden Titel „Nichtssagender Titel“. Autor ist der Künstler Fritz Balthaus, dessen buchkünstlerischen Publikationen sich keineswegs auf den Nichtssagenden Titel beschränken, vielmehr dieser erst den Anfang eines umfangreichen Oeuvres bildet, zu dem etliche weitere Auseinandersetzungen mit dem Buch und seiner Wesenhaftigkeit gehören. Solche Reflexion des Buches erfolgt unter anderem mittels der Publikationen anderer Autoren, wie etwa dem beim Merve Verlag erschienen Titel Die Weiße Zelle, der deutschen Übersetzung von Brian O’Dohertys 1976 erschienenem Essay The White Cube. Indem Balthaus den Titel durch einen geringfügigen Eingriff manipuliert, macht er sich das Buch zu eigen. Aus „Zelle“ wird „Zeile“ und mit Blick auf die nun weiße Zeile sind alle im Buch auftretenden Zeilen als weiß vorzustellen. Konkret heißt das, dass das Buch leer scheint, dafür aber aufnahmebereit für jeden beliebigen Inhalt. Der solchermaßen leer erscheinende Raum im Buch erweist sich als Äquivalent des als „White Cube“ bezeichneten neutralen Ausstellungsraumes, wie ihn O’Doherty zum Gegenstand seines Textes genommen hat.

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Der Skandal und die Folgen. Ein Podiumsgespräch im Nachgang zur documenta 15 im Jüdischen Museum Frankfurt am Main

Viola Hildebrand-Schat

Während der documenta 15, der weltweit größten zeitgenössischen Kunstausstellung, haben israelfeindliche und antisemitische Positionen eine zentralen Auftritt gehabt. Eine erster Ausgangspunkt – zumindest für die von der Presse angestoßenen Diskussion – war ein am Friedrichsplatz installiertes Banner der Gruppe Taring Padi. In dem großformatigen Wimmelbild war deutlich antisemitistische Ikonografie auszumachen. Was sich die Aussteller dabei gedacht hatten, blieb bis zum Schluss offen. Dass die Installation der Arbeit weder unbedacht geschah noch ohne Wissen um die Brisanz der Darstellung geschah, muss angesichts der Tatsache, dass die Arbeit erst nach der Pressekonferenz und nach dem offiziellen Eröffnungsakt sichtbar wurde, unterstellt werden. Bereits diese Verzögerung der Veröffentlichung hätte eine Erklärung wünschenswert sein lassen. Doch blieb sie aus, ebenso wie das Banner schnell abgehängt wurde, anstatt zum Anlass für eine offen zwischen Kuratoren und Publikum geführten Diskussion genutzt zu werden. Zuvor war dramatisch mit einer schwarzen Folie kaschiert worden – eine Geste, mit der die Kuratoren ihrer Betroffenheit über das Unverständnis Ausdruck verleihen wollten. Oder ging es dabei noch um etwas anderes? Dabei wäre eine Auseinandersetzung mit und angesichts des Bildes– so Wenzel – nicht nur wünschenswert, sondern absolut notwendig gewesen. Gerade diese eine Arbeit hätte die Vorlage für das Kuratorenteam liefern können, sich zu erklären, Stellung zu nehmen und so möglicherweise die die gesamte documenta überschattenden Angriffe verhindern können.

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Das Bewusstsein ist eine gefährliche Waffe für den, der sie führt

Die Wahlverwandtschaften im Schauspiel Frankfurt

Eduard, ein wohlhabender und gebildeter Mann, befindet sich in einer Ehe mit Charlotte, die ihm nicht mehr die Erfüllung gewährt, die er von einer Ehe erwartet. In der jungen Ottilie sieht er seine Herzensgefährtin, seine Wahlverwandte. Ottilie, die in der Obhut ihrer Tante Charlotte lebt, ist jedoch unschlüssig in Bezug auf ihre eigenen Gefühle und ihre Zukunft. Als weiterer Protagonist tritt Otto ins Spiel, ein alter Freund von Eduard und Charlotte. Die sich anbahnende Verwirrung der Gefühle spitzt sich zu, als Otto für einen längeren Aufenthalt bei Eduard und Charlotte weilt und seine Leidenschaft für Charlotte entdeckt. Von den vier in Beziehungen miteinander verwickelten Menschen überleben am Schluss nur zwei.

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Onkel Wanja von Anton Tschechow

Schauspiel Frankfurt, Regie: Jan Bosse

Sicher zählen die Stücke von Anton Tschechow zu den Klassikern der Bühne. Gerade das Schauspiel Frankfurt bringt mit Regelmäßigkeit das eine oder andere zur Aufführung. Vordergründig scheinen Langmut, wenn nicht gar das sich in Langeweile erschöpfende Leben des wohlhabenden Bürgertums im Vordergrund zu stehen. Die Stücke von Tschechow fokussieren vornehmlich Aufenthalte auf den Landgütern während der langen Sommermonate. Die Anwesen dienen als Rückzugsort und bieten eine dem Leben in der Stadt entgegengesetzte Atmosphäre der Entspannung und Idylle. Doch scheinen die Protagonisten wenig von den Möglichkeiten auf dem Lande zu profitieren.

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Unvergessliches Konzert in Nieder-Moos

@ Zülküf Kurt

Sommerkonzerte gehen in diesen Tagen zu Ende, wenn der Herbst deutlich sichtbar wird. Neben verschiedenen Konzerten hat die Kirche in Nieder-Moos heute (11.09.2022) ein besonderes Konzert veranstaltet. Die Künstler Albrecht Mayer (Oboe), Sophie Dervaux (Fagott) und Evgenia Rubinova (Klavier) gaben ihr Konzert vor großem Publikum. Mit Werken von Jean Françaix, Roger Boutry, Camille Saint-Saëns, Dutilleux und Francis Poulenc boten die Künstler  in der ersten Hälfe des Konzerts eine musikalisch anspruchsvolle Darbietung.

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Blaue Brise bei Nieder-Moos

@ Zülküf Kurt

Auch wenn sich die Sommerkonzerte dem Ende zuneigen, am Sonntag den 4. September, bietet die Nieder-Mooser Kirche weiterhin beeindruckende Konzerte. 4 Saxophone, ein Cello und ein Klavier und sechs talentierte Künstler. Arcis Saxophon Quartett: Claus Hierluksch (Sopransaxophon), Ricarda Fuss (Altsaxophon), Edoardo Zotti (Tenorsaxophon), Jure Knez (Baritonsaxophon). Und Rahaela Gromes(Cello) sowie Julian Riem(Klavier).

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