Goethes Drama „Faust“ in zwei Teilen an einem Abend im Schauspiel Frankfurt

Johann Wolfgang von Goethes Drama „Faust“ gilt als eines der bedeutendsten Werke der deutschen Literatur und hat entsprechend seit seiner Fertigstellung zahlreiche Inszenierungen erlebt. Vorrang erhielt dabei eindeutig der erste Teil des Dramas, erwies er sich doch aufgrund seiner Inhalte als weit zugänglicher, als der symbolisch aufgeladene und äußerst voraussetzungsreiche zweite Teil.

Foto: Thomas Aurin

Der erste, 1808 von Goethe fertiggestellte Teil zeichnet am Beispiel des Universalgelehrten Heinrich Faust das Bild eines unermüdlich nach Wissen strebenden Menschen. Aus Überdruss am Studium wie auch im verzweifelten Ringen um Erkenntnis geht er schließlich einen Pakt mit dem Teufel ein, der in der Gestalt des Mephisto und von Faust selbst herbeigerufen die Studierstube des Gelehrten betritt. Im weiteren Verlauf des Dramas entspannt sich Faustens Verhältnis zu der ehrsamen, sehr jungen und vom Leben unberührten Margarete, genannt Gretchen. Sie gibt Faust die Gelegenheit, sich als charmanter Liebhaber zu zeigen, nicht zuletzt dank seiner Verjüngung mit Hilfe des Teufels. So ist die sich nun entspannende Tragödie eine Konsequenz von Faustens Allianz treibt Gretchen ins Verderben, während es Faust scheinbar unberührt vom moralischer Zwiespalt angesichts der universellen Fragen nach Schuld, Verantwortung und Erlösung lässt.

Fokussiert der erste Teil grundlegende Fragen der Menschheit am Beispiel von Individuen erweitert der zweite, von Goethe rund 30 Jahre später fertiggestellte und der Öffentlichkeit vorgestellte Teil das Drama hin auf grundlegende gesellschaftspolitische und philosophische Aspekte. Fausts Streben wird hier zum Sinnbild wirtschaftlichen Fortschritts mit dem Anspruch auf Macht und Reichtum. Der Verlauf der äußerst komplexen und von zahlreichen Anspielungen auf Volksglauben und Mythologie getragenen Handlung erfolgt im Zusammenspiel mit zahlreichen Ortswechseln, die Faust und Mephisto über den Brocken im Harz in die griechische Antike führen. Es ist eine Reise durch Raum und Zeit, in der mythologische, politische und ästhetische Motive in einer Weise zusammenfließen, dass eine eindeutige Interpretation nahezu unmöglich ist. Dieser Aspekt erklärt einerseits die lange Zurückhaltung bei der Inszenierung, liefert andererseits aber jeder Epoche das Potential einer neuen Kontextualisierung und je eigener fantastischer Ausdeutung. Eine solche mag man in der Reflektion der Zerrissenheit des modernen Menschen sehen, dessen Streben nach Erkenntnis ihn zugleich erhebt und in moralische Abgründe führt. Das Stück endet, ganz wie es Goethe in seinem Drama vorsieht, mit Faustens Erlösung.

Während nun Jan-Christoph Gockel und Claus Philipp den ersten Teil auf der Frankfurter Bühne auf eine halbe Stunde Aufführzeit verkürzen und dazu die wichtigsten Episoden komprimiert und in einer dichten Folge zum Teil einander überlagernder Bilder über Videoprojektion vorstellen, entfalten sie den zweiten Teil in einer nicht weniger lebendigen, jedoch weit ausführlicher Gegenwartbezüge aufgreifenden Weise. Die Raffung der Handlung am Beginn des Dramas gelingt. Zum einen ist der Stoff des ersten Teils von Faust hinlänglich bekannt, zum anderen unterstützen Texteinblendungen die Orientierung im Ablauf. Die Szene mit ihren Räumlichkeiten werden wie bei einer Regieanweisung auf plakatgroßen Projektionsflächen sichtbar, während gleichzeitig Projektionen Einblick gleichsam in das Innere der Handlung geben. Sie geben dem Zuschauer Gelegenheit mit Faust in Gretchens Zimmer vorzudringen, ohne das Zimmer auf der Bühne auszugestalten, sie rücken aber auch die Gesichter der Schauspieler mit ihrer ausdrucksstarken Mimik an den Zuschauer heran. So sind allein über die Projektion der Gesichter im Bühnenvordergrund wesentliche Abläufe zu verfolgen. Auch werden über die Projektionsflächen Ebenen eingespielt, die helfen, Zeit- und Raumsprünge zu überwinden.

Eine weitere Modalität Raum und Zeit zu raffen, liefert die Inszenierung einer Geisterbahn. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Erlebnisparcour und archaischem Tempelbau, auf dessen oberen Ebene die Schauspieler wie die Figuren eines Glockenspiels filieren, während der unter Teil sie auf einem kleinen Wagen ins Innere entführt, um sie nach einiger Zeit am anderen Ende wieder auf die offene Bühne zu befördern. Die gleichsam innere Erlebniswelt wird dem Zuschauer aber keineswegs vorenthalten, sondern per Projektion überlebensgroß im Bühnenvordergrund bereitgestellt. Die dem Augen viel bietende Bühnengestaltung trägt wesentlich dazu bei, den schwer zugänglichen Inhalt des zweiten Teils des Dramas lebendig und unterhaltend zu vermitteln. Selbst die eingespielten Momente eines Horrorspektakels dienen eher der Belustigung als des Erschreckens. Neben vielem anderen kann die Umsetzung des Kaiserhofs angeführt werden, die als weiteres groteskes Maskenfest inszeniert ist, das Dekadenz und Machtmissbrauch der Herrschenden hervorkehrt. Humor erhält einen wesentlichen Stellenwert in der Aufführung. In erfrischender Weise dient er der Selbstreflexion theatralischer Inszenierung ebenso wie der Neubetrachtung der von Goethe aufgerufenen großen Fragen. Nicht zuletzt wird immer wieder das Publikum direkt adressiert. So gelingt es Gockel und Philipp dem Betrachter in jeder Hinsicht in eine mitreißende Darbietung einzubinden. Beispiele sind nicht nur die inszenierten Begnungen vor dem Theater mit Passanten, sondern ebenso auch die Einladung, einer Fahrt auf der Geisterbahn zu wagen.

Foto: Thomas Aurin

Die Inszenierung der beiden Teile des Dramas im Frankfurter Schauspiel ist eine gleichermaßen bildreiche, medial und schauspielerisch kunstvoll inszeniertes Gesamtereignis, das dem alten Geheimrat Goethe, der gerade im Faust einige visionäre Neuerung vorschlägt, sicher ungemein imponiert hätte. Mit Blick auf die posthumanistische Welt nähert sich Helena als Cyborg, der meisterlich von Melanie Straub gespielt wird, als eine durch neuste Technologie zum Leben gebrachtes Wesen, das durch Programmierung auf festgelegte Reaktion eingespielt wird. Damit steht sie in krassem Kontrast zum alten Faust, der während der ganzen Aufführung lediglich als Gliederpuppe zugegen ist, die ihr Leben lediglich als einem Alter ego bezieht, dass jedoch mehr oder weniger unsichtbar oder vielmehr im Hintergrund bleibt. Wie beim Prager Puppentheater, bei dem die eigentlichen Schauspieler in schwarzen Anzügen vom dunklen Hintergrund der Bühne geschluckt werden, um die Puppen, die sie führen, umso lebendiger erscheinen zu lassen, steht auch der Faust-Puppe ein solch schwarzgekleideter Assistent bei. Tatsächlich ist seine Assistenzfunktion jedoch täuschend, denn stellenweise er als Faustens mephistophelischer Teil in Aktion. Daneben gibt es aber noch eine weitere Faust-Verkörperung, nämlich der junge Faust, gespielt von Thorsten Flassig, der nicht nur den lebensvollen, sondern auch gewissenhaften Teil Faust verkörpert. Faust ist nicht der einzige, der, wie ihm schon seine Rolle vorschreibt, mehrere Persönlichkeiten verkörpert. Auch Gretchen tritt im zweiten Teil des Dramas erneut in Erscheinung, diesmal als die die klassische Walpurgisnacht eröffnende und leitende thessalische Hexe Erichtho. Auch Mephisto, nicht weniger eindrücklich gespielt von Wolfram Koch, zeigt sich in vielen Rollen, wobei Koch, wie einst Gustav Gründgens, meisterlich ironische Distanz, subtiler Verschlagenheit und Humor zu verknüpfen versteht. Die Rollenaufspaltung nachzuvollziehen ist bei der ohnehin schon relativen Dichte an Figuren nicht immer ganz leicht. Gleichzeitig entspricht sie aber der Vielschichtigkeit des Stücks. Und diese zum Ausdruck zu bringen, dabei zugleich die unmittelbare Gegenwart einzubeziehen, ist der Frankfurter Inszenierung auf eindrückliche Weise gelungen. Wiederum sind es Videoprojektionen, die in den Außenraum führen, die Schauspieler auf dem Platz vor dem Theater im Dialog mit Passanten – zumindest vorgeblichen – zeigen, während sie im Bühnenhintergrund als Besucher der Geisterbahn live zugegen sind. Diese für Jahrmärkte typische Einrichtung ist als Motiv der Vergnügungswelt zugleich symbolischer Ausdruck für die sich gleichsam die Zeit überwindende Handlung des Faust-Dramas. Wahrt der erste Teil noch die Einheit von Raum und Zeit, löst der zweite Teil sie vollständig auf, führt Faust nicht nur in die antike Welt, sondern ebenso in die der Geister und Hexen. Eine Geisterbahn, wie man sie auf Volksfesten findet und die kurzfristig den Besucher ebenfalls in eine Welt der Geister entführt, beschreibt den Versuch, die Theaterbesucher mit einer Erfahrungswelt zu konfrontieren, wie sie den Zeitgenossen Goethes beim Lesen des Faust-Dramas vor Augen gestanden haben mag. Zugleich mag man in der Geisterbahn ein Sinnbild der inneren Zerrissenheit Fausts wie auch der Abgründigkeit seines skrupellosen Strebens nach Erkenntnis sehen.

Gebührt allein schon den schauspielerischen Leitungen volle Anerkennung, so sind nicht weniger die Bühnenausstattung und die Kostüme hervorzuheben. Die opulenten Bühnenbilder nutzen Elemente des Volks- und Jahrmarkttheaters, die die ohnehin durch Goethe vorgegebene Dichte des Dramas weiterhin visuell-ästhetisch und atmosphärisch weiter verdichten. Alles in allem verbindet die umfangreiche, abendfüllende Inszenierung der grandiose Spagat zwischen Werktreue und zeitgemäßer Bühnenästhetik. Die Aufführung macht Goethes komplexes Werk nicht nur zugänglich, sondern eröffnet neue Perspektiven auf die zeitlosen Themen von Schuld, Streben und Erlösung. Die Inszenierung wahrt die zentrale Botschaft des Originals, bringt sie aber kurzweilig, angereichert mit zahlreichen Anleihen bei der Popkultur und medial überzeugenden Bildverschränkungen auf die Bühne. Gleichzeitig aber bietet sie mit neuen Sichtweisen und hält neue Betrachtungsweise des gesamten Stoffs bereit.

BESETZUNG
Torsten Flassig (Der junge Faust)
Wolfram Koch (Mephisto)
Lotte Schubert (Margarethe später thessalische Hexe)
Andreas Vögler (Wagner)
Melanie Straub (Helena / Kaiser)
Christoph Pütthoff (Kanzler)
Caroline Dietrich, Anabel Möbius (Euphorion)
Mark Tumba, Patrick Bimazubute (Valentin)
Michael Pietsch (Chor der Insekten)
Roman Fischer, Edeltrud Thobe, Lieselotte Schweikhardt, Wolfgang Schreiber (Philemon und Baucis)
Thomas Moschny (Herold)
Eike Zuleeg (Live-Kamera)

TEAM
Regie: Jan-Christoph Gockel
Bühne: Julia Kurzweg
Kostüme: Janina Brinkmann
Musik & Hörspiel: Matthias Grübel
Video: Eike Zuleeg
Puppenbau: Michael Pietsch
Dramaturgie: Claus Philipp, Katrin Spira
Licht: Marcel Heyde

Der Geizige

Drama in fünf Akten von Molière, inszeniert von Mateja Koležnik im Schauspiel Frankfurt

(C) Thomas Aurin

Viola Hildebrand-Schat 

1668 im Palais Royal in Paris uraufgeführt, kommt Molières Klassiker, in dem es um Besitz, Geld und ein angemessenes Verhältnis von Sparsamkeit und Lebensqualität geht, im Frankfurter Schauspiel 2023 in der Inszenierung von Mateja Koležnik mit Erfolg zur Aufführung und das Stück ist auch aktuell noch auf der Frankfurter Bühne zu sehen. Vor dem Hintergrund des Ortes, nämlich der Stadt Frankfurt, erhält Molières Stück eine besondere Note. Immerhin führt der hohe Anteil an finanzstarken Unternehmen in der City und die Tatsache, dass die Einkommensteuern der Arbeitnehmer in Kassen außerhalb der Stadt fließen, zu einem merkwürdigen Spannungsverhältnis. Der sich im Zentrum konzentrierende Wohlstand steht im krassen Kontrast zu den Obdachlosen im Straßenbild rund um das engere Zentrum. Auch wenn Molière zunächst von einer Gegenüberstellung von Geiz und Lebensglück ausgeht, lässt sich sein Stück vielfältig ausdeuten. Das wurde bereits bei der Erstaufführung deutlich. Amüsiert schienen die wenigsten und Molière sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, zum Lachen über einen moralische Haltung zu veranlassen, die zu verurteilen sei. Daneben klingt aber im Stück auch finanzielle Abhängigkeit an. Doch scheint es weniger Lebensnotwendigkeit zu sein, die Finanzkraft wünschenswert macht, als vielmehr der Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung.

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Die Horten Collection: permanente und wechselnde Akzente

Viola Hildebrand-Schat 

Ausstellungsansicht Klimt ⇄ Warhol Foto: Ouriel Morgenstern. © Heidi Horten Collection

Der Hanuschhof in Wien beherbergt die von der Heidi Goëss-Horten gegründete HGH-Vermögensstiftung finanzierte Horten-Sammlung. Die Sammlerin knüpfte bei der Zusammenstellung an Werke der klassischen Moderne an, die noch aus der Zeit ihrer ersten Ehe mit Helmut Horten stammte. 1987 begann sie mit dem systematischen Ausbaut des Bestandes und konzentrierte sich dabei zunehmend auf Gegenwartskunst. Der Hanuschhof wurde im Zuge des Ringstraßenbaus nach Plänen von Anton Hefft errichtet, und das Stöcklgebäude im Innenhof, in dem sich heute das Museum befindet, diente ursprünglich als Reithalle für Erzherzog Albrecht. Später ließ Erzherzog Friedrich die Halle abreißen und als Kanzleigebäude mit einer ebenerdigen Garage neu errichten. Nach der Enteignung kaiserlicher Besitze ging das Gebäude in den Besitz der Republik über und wurde vielseitig genutzt – zuletzt als Kassenhalle der Bundestheater und Kunstverein. Im Jahr 2019 erwarb Heidi Goëss-Horten das Gebäude und ließ es umfangreich zu einem „State of the Art“-Museum umbauen, das 2022 eröffnet wurde, nur wenige Tage vor ihrem Tod.

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Künstlerbuch oder Künstlerpublikation? Lia und Dan Perjovschi. Autodrawings und Endless Collection, Kunsthalle Göppingen 2003

Viola Hildebrand-Schat 

Dan Perjovschi ist spätestens seit der 48. Biennale 1999 in Venedig und der documenta fifteen 2022 in Kassel einem breiten Publikum durch seine Zeichnungen im öffentlichen Raum bekannt – Wortgebilde im wahrsten Sinne, semiotische Verflechtungen aus verbal- und bildsprachlichen Zeichen. Die Darstellungen gleichen in ihrer Einfachheit schnell auf Hauswände gesprühten Slogans, greifen aber mit Witz und Anspielungen weiter. Auf einfachste Formen, zumeist Konturen reduziert erscheinen sie allgemein verständlich, sind gleichwohl aber voller Anspielungen, nicht zuletzt solchen, die aus Buchstaben- oder Silbenumstellungen wie auch der Verknüpfung von Bild- und Textzeichen resultieren. Mit dieser scheinbar einfachen und zugleich höchst komplexen Äußerungsform schreibt sich der Künstler in einen öffentlichen Diskurs ein, der, wie er wiederholt deutlich macht, den Stellenwert von Kunst innerhalb eines von Politik und Ökonomie bestimmten Gesellschaftssystems deutlich macht. Allerdings beansprucht Perjovschi keine Deutungshoheit für sein Werk. Im Gegenteil ist es geradezu dafür prädestiniert, unter unterschiedlichen Blickwinkeln erfasst und verstanden zu werden. Eine solche Auseinandersetzung mit dem Werk des Künstlers begründet sich aus ihrem reaktiven, orts- und zeitspezifischen Ansatz.

Den Wandzeichnungen, die Perjovschi seit den frühen 1990er Jahren im öffentlichen und halböffentlichen Raum in den Museen westlicher Länder ausgeführt hat, geht eine Entwicklung voraus, die sich mit der Biografie des Künstlers im repressiven System Rumäniens verknüpft, die aber wesentlich die Besonderheit der Zeichnungen und ihrer Genese begründet.

Dan Perjovschi. Autodrawing, 2003
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Untranquil now. Eine Konstellation aus Erzählungen und Resonanzen. Künstlerische Gesten, Performances und Projektionen

Viola Hildebrand-Schat 

Hamburger Kunsthalle, 30. Mai 2014 bis 19. Januar 2025

Die mit dem wenig konkreten Titel Untranquil angekündigte Ausstellung in der Galerie der Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle versammelt knapp 50 Arbeiten, die als repräsentativ für die internationale zeitgenössische Kunst gelten können, sofern man angesichts der Fülle, die das Zeitgenössische zu bieten hat, überhaupt von repräsentativ sprechen kann. In jedem Fall erfüllen die Arbeiten, was der Titel verspricht: ein multimediales Gesamtereignis, in dem mit Installation, Zeichnung, Malerei, Video und Sound verschiedene Positionen zur Sprache kommen. Die vertretenen Künstler sind keine Unbekannten, vielmehr einem breiten Publikum bereits durch Teilnahmen an Biennalen, unter anderem in Venedig, Sidney oder im Whitney Museum, oder Ausstellungen in der mit Exponaten aus der Sammlung von François Pinault bespielten Börse in Paris bekannt. Etliche von ihnen waren oder sind auch in Deutschland präsent, so bei der documenta in Kassel, bei Ausstellungen im Haus der Kulturen der Welt in Berlin oder durch einen Stipendienaufenthalt auf Schloss Solitude bei Stuttgart.

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Das Tove-Projekt, nach »Kopenhagen-Trilogie« und »Gesichter« von Tove Ditlevsen in einer Bearbeitung von Joanna Bednarczyk und unter der Regie von Ewelina Marciniak

Viola Hildebrand-Schat 

Schauspiel Frankfurt

Der Stoff für das von Joanna Bednarczyk für die Frankfurter Bühne konzipiere Stück findet sich in den Lebenserinnerungen der 1918 in Kopenhagen geborenen Dichterin Tove Ditlevsen. Aufgeteilt nach Kindheit, Jugend und Sucht hat sie zwischen 1967 und 1971 ihre Autobiografie veröffentlicht. Vor allem der Titel des dritten Teils verrät, welchen Lauf ihr Leben nimmt. Aufgewachsen in einem Arbeiterviertel sieht sich Ditlevsen von Anbeginn den in ihrem Milieu festgeschriebenen Geschlechterrollen konfrontiert. Und diese besagen, dass eine Frau nicht Dichterin werden kann. An diesen starren Vorstellungen zerbricht Ditlevsen letztendlich. Nach ihrem frühen Schulabschluss arbeitet sie in wechselnden Stellungen als Haushaltsgehilfe, als Küchenmädchen, als Lager-, schließlich auch als Bürokraft und Sekretärin. In ihrer freien Zeit widmet sie sich dem Verfassen von Gedichten, nicht zuletzt ermutigt durch die Bekanntschaft mit einem Antiquariatsbuchhändler. In dieser Beziehung erlebt sie zum ersten Mal als Person mit ihrem Fähigkeiten wahr- und ernstgenommen, nicht aber als Frau geliebt zu werden.

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Licht, Luft, Papier und Wand – Arbeiten mit dem Raum oder Fritz Balthaus‘ Poststudio

1982 erscheint ein Buch mit dem vielsagenden Titel „Nichtssagender Titel“. Autor ist der Künstler Fritz Balthaus, dessen buchkünstlerischen Publikationen sich keineswegs auf den Nichtssagenden Titel beschränken, vielmehr dieser erst den Anfang eines umfangreichen Oeuvres bildet, zu dem etliche weitere Auseinandersetzungen mit dem Buch und seiner Wesenhaftigkeit gehören. Solche Reflexion des Buches erfolgt unter anderem mittels der Publikationen anderer Autoren, wie etwa dem beim Merve Verlag erschienen Titel Die Weiße Zelle, der deutschen Übersetzung von Brian O’Dohertys 1976 erschienenem Essay The White Cube. Indem Balthaus den Titel durch einen geringfügigen Eingriff manipuliert, macht er sich das Buch zu eigen. Aus „Zelle“ wird „Zeile“ und mit Blick auf die nun weiße Zeile sind alle im Buch auftretenden Zeilen als weiß vorzustellen. Konkret heißt das, dass das Buch leer scheint, dafür aber aufnahmebereit für jeden beliebigen Inhalt. Der solchermaßen leer erscheinende Raum im Buch erweist sich als Äquivalent des als „White Cube“ bezeichneten neutralen Ausstellungsraumes, wie ihn O’Doherty zum Gegenstand seines Textes genommen hat.

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Der Skandal und die Folgen. Ein Podiumsgespräch im Nachgang zur documenta 15 im Jüdischen Museum Frankfurt am Main

Viola Hildebrand-Schat

Während der documenta 15, der weltweit größten zeitgenössischen Kunstausstellung, haben israelfeindliche und antisemitische Positionen eine zentralen Auftritt gehabt. Eine erster Ausgangspunkt – zumindest für die von der Presse angestoßenen Diskussion – war ein am Friedrichsplatz installiertes Banner der Gruppe Taring Padi. In dem großformatigen Wimmelbild war deutlich antisemitistische Ikonografie auszumachen. Was sich die Aussteller dabei gedacht hatten, blieb bis zum Schluss offen. Dass die Installation der Arbeit weder unbedacht geschah noch ohne Wissen um die Brisanz der Darstellung geschah, muss angesichts der Tatsache, dass die Arbeit erst nach der Pressekonferenz und nach dem offiziellen Eröffnungsakt sichtbar wurde, unterstellt werden. Bereits diese Verzögerung der Veröffentlichung hätte eine Erklärung wünschenswert sein lassen. Doch blieb sie aus, ebenso wie das Banner schnell abgehängt wurde, anstatt zum Anlass für eine offen zwischen Kuratoren und Publikum geführten Diskussion genutzt zu werden. Zuvor war dramatisch mit einer schwarzen Folie kaschiert worden – eine Geste, mit der die Kuratoren ihrer Betroffenheit über das Unverständnis Ausdruck verleihen wollten. Oder ging es dabei noch um etwas anderes? Dabei wäre eine Auseinandersetzung mit und angesichts des Bildes– so Wenzel – nicht nur wünschenswert, sondern absolut notwendig gewesen. Gerade diese eine Arbeit hätte die Vorlage für das Kuratorenteam liefern können, sich zu erklären, Stellung zu nehmen und so möglicherweise die die gesamte documenta überschattenden Angriffe verhindern können.

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Das Bewusstsein ist eine gefährliche Waffe für den, der sie führt

Die Wahlverwandtschaften im Schauspiel Frankfurt

Eduard, ein wohlhabender und gebildeter Mann, befindet sich in einer Ehe mit Charlotte, die ihm nicht mehr die Erfüllung gewährt, die er von einer Ehe erwartet. In der jungen Ottilie sieht er seine Herzensgefährtin, seine Wahlverwandte. Ottilie, die in der Obhut ihrer Tante Charlotte lebt, ist jedoch unschlüssig in Bezug auf ihre eigenen Gefühle und ihre Zukunft. Als weiterer Protagonist tritt Otto ins Spiel, ein alter Freund von Eduard und Charlotte. Die sich anbahnende Verwirrung der Gefühle spitzt sich zu, als Otto für einen längeren Aufenthalt bei Eduard und Charlotte weilt und seine Leidenschaft für Charlotte entdeckt. Von den vier in Beziehungen miteinander verwickelten Menschen überleben am Schluss nur zwei.

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Onkel Wanja von Anton Tschechow

Schauspiel Frankfurt, Regie: Jan Bosse

Sicher zählen die Stücke von Anton Tschechow zu den Klassikern der Bühne. Gerade das Schauspiel Frankfurt bringt mit Regelmäßigkeit das eine oder andere zur Aufführung. Vordergründig scheinen Langmut, wenn nicht gar das sich in Langeweile erschöpfende Leben des wohlhabenden Bürgertums im Vordergrund zu stehen. Die Stücke von Tschechow fokussieren vornehmlich Aufenthalte auf den Landgütern während der langen Sommermonate. Die Anwesen dienen als Rückzugsort und bieten eine dem Leben in der Stadt entgegengesetzte Atmosphäre der Entspannung und Idylle. Doch scheinen die Protagonisten wenig von den Möglichkeiten auf dem Lande zu profitieren.

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