Viola Hildebrand-Schat
Während der documenta 15, der weltweit größten zeitgenössischen Kunstausstellung, haben israelfeindliche und antisemitische Positionen eine zentralen Auftritt gehabt. Eine erster Ausgangspunkt – zumindest für die von der Presse angestoßenen Diskussion – war ein am Friedrichsplatz installiertes Banner der Gruppe Taring Padi. In dem großformatigen Wimmelbild war deutlich antisemitistische Ikonografie auszumachen. Was sich die Aussteller dabei gedacht hatten, blieb bis zum Schluss offen. Dass die Installation der Arbeit weder unbedacht geschah noch ohne Wissen um die Brisanz der Darstellung geschah, muss angesichts der Tatsache, dass die Arbeit erst nach der Pressekonferenz und nach dem offiziellen Eröffnungsakt sichtbar wurde, unterstellt werden. Bereits diese Verzögerung der Veröffentlichung hätte eine Erklärung wünschenswert sein lassen. Doch blieb sie aus, ebenso wie das Banner schnell abgehängt wurde, anstatt zum Anlass für eine offen zwischen Kuratoren und Publikum geführten Diskussion genutzt zu werden. Zuvor war dramatisch mit einer schwarzen Folie kaschiert worden – eine Geste, mit der die Kuratoren ihrer Betroffenheit über das Unverständnis Ausdruck verleihen wollten. Oder ging es dabei noch um etwas anderes? Dabei wäre eine Auseinandersetzung mit und angesichts des Bildes– so Wenzel – nicht nur wünschenswert, sondern absolut notwendig gewesen. Gerade diese eine Arbeit hätte die Vorlage für das Kuratorenteam liefern können, sich zu erklären, Stellung zu nehmen und so möglicherweise die die gesamte documenta überschattenden Angriffe verhindern können.
Auch wenn also das Banner schnell aus dem öffentlichen Blickfeld verschwand, hielten die Diskussionen um Antisemitismus und israelfeindliche Positionen bis zum Ausstellungsende im September 2022 an. Ja, sie erhielten Verstärkung durch weitere Arbeiten, die in ähnlicher Weise als antisemitistisch erkannt wurde und letztendlich verstellten sie den Blick auf das, was die Documenta sonst noch zu bieten hatten.
Ein zentrales Problem war, dass während der ganzen Zeit allzu schnell Antisemitismus und Israelfeindlichkeit nicht sauber voneinander getrennt wurden. Mit einem deutschen Antisemitismus und einem des globalen Südens trafen gleich zwei, aber doch unterschiedlich motivierte antisemitistische Strömungen aufeinander.
Wie konnte es zu einer solchen undifferenzierten Diskussion kommen, wie vor diesem Hintergrund der palästinensischen Befreiungskampf zu einem zentralen Argument im postkolonialen Diskurs herangezogen werden? Diesen Fragen stellten sich in einer Podiumsdiskussion am Dienstag, den 24. Januar 2023 Prof. Dr. Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-Instituts, Hessische Friedens- und Konfliktforschung sowie Vorsitzende der Expertenkommission, die den Antisemitismusverdacht prüfen sollte, Prof. Dr. Heinz Bude, Gründungsdirektor des documenta Instituts für Ausstellungsstudien, einem Forschungsinstitut unter dem Dach der documenta und des Museums Fridericianum, dem auch das documenta Archiv angehört und Prof. Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt. Moderiert wurde Diskussion von Sandra Kegel, verantwortliche Redakteurin für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.
Für die Diskutanten auf dem Podium kam der anlässlich der documenta ausgebrochene Streit keineswegs überraschend. Im Gegenteil wiesen sie darauf hin, dass das Desaster einen langen Vorlauf hatte. Das Künstlerkollektiv ruan grupa, das die Verantwortung für die künstlerische Ausrichtung der documenta übernommen hatten, war schon seit vielen Jahren im Westen als erfolgreiches und vornehmlich von der Rijksakademie in Amsterdam gefördertes Künstlerkollektiv bekannt. Somit war das Argument, dass sie nicht gewusst hätten, was sie hier – also im Westen – erwarten würde, nicht haltbar. Die Findungskommission der documenta wusste also sehr genau, wem sie die Kuratorenschaft zusprach.
Die indonesische Kuratorengruppe gab sich – freundlich gesprochen – naiv. Der zu Teilen aufscheinende sozialpädagogische Ansatz entschuldigt aber nicht so manche Unschärfen wie Uneindeutigkeiten oder gar Widersprüche, die sich an verschiedenen Stellen auftaten. So lässt sich angesichts der Vielfalt an Ländern und Kulturen wohl kaum von einem globalen Süden sprechen. Und Israel hat in dieser Diktion erst recht keinen Platz. Und die vielbeschworene Einladung zum Gespräch zwischen Künstlern und Publikum, das schon bei dem Banner von Taring Padi nicht zustande kam, wurde auch an anderen Orten nicht eingelöst. So sehr auch an allen Orten Sitzgelegenheiten zum Verweilen einluden, blieb der Besucher doch zumeist sich selbst überlassen. Überhaupt scheint der ungenaue Umgang mit Begriffen ein Problem zu sein, schließlich geht es dabei nicht um die Begriffe an sich, sondern um Haltungen, Sicht- und Definitionsweisen, für die die Begriffe paradigmatisch sind. So kann Antisemitismus als Vokabel nicht unreflektiert auf alles angewendet werden, was gegen den Staat Israel, gegen Personen jüdischen Glaubens oder jüdische Sichtweisen gerichtet ist. Auch wenn die sich an verschiedener Stelle deutlich werdenden Probleme im Rahmen einer Podiumsdiskussion nicht gelöst werden können, so ist es doch wesentlich, sie benannt zu haben. Schließlich verbindet sich mit der Thematisierung auch der Appell, künftig in allen Punkten sorgfältiger zu sein, genauer hinzuschauen, differenzierter zu argumentieren und zu urteilen.
Nachhaltig wirkt der Vorwurf, dass das Team seine ästhetische Verantwortung nicht erfüllt habe, schwere noch, dass es einen Vertrauensverlust in die Kultureinrichtungen heraufbeschworen hat. Von jüdischer Seite stellt sich die documenta XV als einen Wiederholung dessen dar, was schon mit den ersten documenten Faktum wurde, nämlich das jüdische Künstler ausgeschlossen wurden, weil die ersten documenten von alten Nationalsozialisten mitverantwortet wurden.
Ob die documenta XV nun eine gelungene Kunstschau war, ob sie gesetzten Ziele erfüllt hat und ob die an die documenta als Institution gestellten Wünsche künftig erfüllt werden, muss dahin gestellt bleiben.