Untranquil now. Eine Konstellation aus Erzählungen und Resonanzen. Künstlerische Gesten, Performances und Projektionen

Hamburger Kunsthalle, 30. Mai 2014 bis 19. Januar 2025

Die mit dem wenig konkreten Titel Untranquil angekündigte Ausstellung in der Galerie der Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle versammelt knapp 50 Arbeiten, die als repräsentativ für die internationale zeitgenössische Kunst gelten können, sofern man angesichts der Fülle, die das Zeitgenössische zu bieten hat, überhaupt von repräsentativ sprechen kann. In jedem Fall erfüllen die Arbeiten, was der Titel verspricht: ein multimediales Gesamtereignis, in dem mit Installation, Zeichnung, Malerei, Video und Sound verschiedene Positionen zur Sprache kommen. Die vertretenen Künstler sind keine Unbekannten, vielmehr einem breiten Publikum bereits durch Teilnahmen an Biennalen, unter anderem in Venedig, Sidney oder im Whitney Museum, oder Ausstellungen in der mit Exponaten aus der Sammlung von François Pinault bespielten Börse in Paris bekannt. Etliche von ihnen waren oder sind auch in Deutschland präsent, so bei der documenta in Kassel, bei Ausstellungen im Haus der Kulturen der Welt in Berlin oder durch einen Stipendienaufenthalt auf Schloss Solitude bei Stuttgart.

Bei aller medialen Vielfalt eint die Arbeiten ein explizit narrativer Anspruch, der sich aus einer literarischen Quelle, einer Legende, einem Märchen oder einem Volksbrauch ableitet. Selbst dort, wo, wie bei zunächst ganz von den Lauten getragenen Arbeit von Nasrin Tabatabais & Babak Afrassiabis Labour Lung die auditive Erfahrung im Vordergrund steht, liegen literarische Texte zugrunde. In diesem Falle sind es Passagen, die die Empfindungen des Opiumrausches beschreiben. Im Raum mischen sich die über mehrere Lautsprecher verstärkten Geräusche einer Lunge. Tatsächlich sind es nicht die einer echten Lunge, sondern die einer computertechnologischen Simulation. Computertechnologisch überformt sind auch die Arbeiten von Alexander Schellow, bei denen das Bild in Pixel zerfällt. Dabei gehen die beiden in die Ausstellung aufgenommenen Arbeiten Sie und Spots von Zeichnungen des Künstlers aus, und zwar umfangreichen Serien, die Zeiträume von Jahren abstecken und animiert und digital komprimiert als flimmernde Bildsequenzen zugänglich werden. The Liminal Archive von Limbo Accra wiederum macht sich die medialen Möglichkeiten zunutze, um die Unwirklichkeit von geplanten, konzipierten, jedoch letztendlich nicht ausgeführten oder niemals vollendeten Architekturprojekten zu veranschaulichen. Die auf drei vor Projektoren gespannten Bildschirme zeigen Negative von Filmbilder, auf denen sich hell vor dunklem Grund gespenstisch die Formen von Gebäuden abzeichnen, um sich im weiteren Filmverlauf aufzulösen, buchstäblich vor den Augen des Betrachters zu zerfallen und schließlich den Raum freigeben für das Aufwachsen einer neuen Architektur. Alle zeugen von Fantasien, denen sich Personen mit Einfluss hingaben. Unvollendet, umgeformt oder abgewertet werden sie zugleich zu Zeugen eines Wettlaufs mit der Zeit.

Doch keineswegs dominieren die Ausstellung digitale Welte. Immer wieder treten in den durchweg komplexen Installationen tradierte Techniken wie Malerei oder Zeichnung hinzu. Anri Sala beispielsweise kombiniert seine Aquarelle geografischer Formationen mit Kupferstichen, die der Fauna und Flora der von ihm mit Farben umrissenen Regionen korrespondieren. Coco Fusco begleitet ihre Völkerschauen parodierende Performance The undiscovered Amerindians mit einer Serie von Kupferstichen, die in der Manier von Karikaturen abgefasst sind, wie sie im 19. Jahrhundert die französische Presse als Kommentare zu den Akademie-Ausstellungen publizierte. Auf diesen Stichen, die Cusco mit kurzen, an Comicstrip oder Bildergeschichten erinnernden Texten versieht, beschreibt sie die Reaktionen der indigenen Besucher auf das im Käfig posierende Künstlerduo. Weniger komplex und sich ganz auf Malerei konzentrierend zeigt Hyun-Sook Song mit Pinselstrich-Diagramm genau das, was der Titel der Arbeit benennt: einen grandiosen Pinselstich, der über die Leinwand gezogen das Motiv einer bewegten, halb von einem Vorhang verborgenen Figur suggeriert. Doch bleibt es bei der Suggestion, denn letztendlich zeigt das Gemälde nicht mehr und nicht weniger als reine Malerei, die harmonisch helle Braun- und Rosatöne und dabei einen schier unendlichen Sehraum zu öffnen. Die Arbeit mit ihrer impliziten Aufforderung zum bloßen Schauen könnte zugleich als Motto für die Ausstellung gelesen werden: Schauen und Betrachten frei von theoretischem Ballast. Tatsächlich erschließen sich die Arbeiten in der Betrachtung, was für zeitgenössische Positionen nicht die Regel ist. Sie zeigen, wie sich schauend der Blick weitet, wie sich das Gesehene mit Erfahrungen vermengt und Erinnerungen aufruft, die auch die literarischen Quellen einbeziehen. Wer sich schauend auf die Exponate einlässt wird auf einige Motive stoßen, die sich wie Leitmotive durch die Ausstellung ziehen, so etwa die Blume, die Gegenstand von Eric Baudelaires Videoinstallation ist, und die sich in Paola Yacoubs Video Les fleurs du Damas wiederfindet. Durchweg narrativ ausgerichtet, binden viele Arbeiten literarische Texte ein. So folgt beispielsweise Dora Garcias Installation The Bug, deren auf schwarzen Holztafeln aufgezeichnete Instruktionen für eine Performance dem Stück Die Wanze von Vladimir Majakovskij. Eric Baudelaires aus mehrere über den Raum verteilten Bildschirmen bestehende Videoinstallation orientiert sich an der Erzählung Der Mann mit der Blume im Mund von Luigi Pirandello. Oder Peter Friedls Report, in dem die nacheinander auftretende Protagonisten einen Monolog in ihrer Landessprache vortragen, ist von Franz Kafkas Ein Bericht für eine Akademie inspiriert.

Kombiniert sind die für die Ausstellung Untranquil now ausgewählten Arbeiten mit solchen aus der Sammlung in der Kunsthalle, so dass deutlich wird, wo bestehende Tendenzen aufgegriffen und fortgesetzt werden und wo Grenzen zeitgenössischen Kunstschaffens neu abgesteckt werden. Wer sich dem Dialog der neuen Arbeiten mit denen der Sammlung stellen möchte, hat lediglich vom Ticketschalter im Hauptgebäude aus der Ceiling Snake von Jenny Holzer zum Sockelgeschoß der Galerie der Gegenwart zu folgen, um über die von der Decke im Lichthof abhängenden Installation von Rosa Barba zur Ausstellung auf der zweiten Etage geleitet zu werden. Unbedingt einzuplanen ist ein ausreichendes Zeitbudget, da ihrer Natur gemäß allein die diversen Videos ihr Tribut fordern.

Die in der Ausstellung zusammengeführten Arbeiten hätten eine etwas konsistenter Aufbereitung verdient, etwa bei der Angabe von Herkunft und Geburtsdatum der Künstler. Und wenn schon die die Arbeiten begleitenden Texte in den Ausstellungsräumen wegen der notwendigen Abdunkelung kaum oder nur mühsam zu lesen sind, wären es hilfreich gewesen, wenn das Blatt mit dem Raumplan neben den Künstlernamen auch die Titel der Arbeiten aufgeführt hätte. Die Rückseite hätte dafür in jedem Fall Platz geboten. Hingegen fällt nicht ins Gewicht, dass Einladung und Ausstellungsankündigung Namen aufführen, die dann letztendlich doch nicht in der Ausstellung zu finden sind, so John Akomfrah, Au Sow Yee, Lucinda Childs, Ângela Ferreira, Joan Jonas oder Apichatpong Weerasethakul und Tomoko Sauvage. Sie lassen ahnen, welche Schwierigkeiten sich bei Akquise, Organisation und Umsetzung stellen und das mach anfänglich Geplantes letztendlich doch nicht zur Umsetzung gelangt. Die Ausstellung ist in jedem Fall reich und anregend.

Auf dem Weg zu Untranquil now sollte nicht die von George Adéagbo als Hommage an Aby Warburg ausgerichtete Ausstellung im Harzen-Kabinett im Sockelgeschoß außer Acht gelassen werden. Seinen Prinzipien der Kombination aus Fundstücken, Zufallsfunden und gezielt Gesuchtem und Zusammengetragenem folgend erklärte Adéagbo das Sammeln an sich zum Kunstwerk. Fanden seine ersten Sammlungen in der Garage seines Wohnhauses Ausstellung sind sie spätestens seit dem Auftritt des Künstlers bei der documenta X Gegenstand von renommierten Ausstellungshäusern. Und wer nach der Konstellation aus Erzählungen und Resonanzen. Künstlerische Gesten, Performances und Projektionen noch Muse hat, findet mit den farbenfrohen Objekten von Kathleen Ryan im Erdgeschoß des Ungers-Baus ein skulptural-visuelles Pendant zu den auf Projektion beruhende Arbeiten der Ausstellung Untranquil now.

Das Tove-Projekt, nach »Kopenhagen-Trilogie« und »Gesichter« von Tove Ditlevsen in einer Bearbeitung von Joanna Bednarczyk und unter der Regie von Ewelina Marciniak

Schauspiel Frankfurt

Der Stoff für das von Joanna Bednarczyk für die Frankfurter Bühne konzipiere Stück findet sich in den Lebenserinnerungen der 1918 in Kopenhagen geborenen Dichterin Tove Ditlevsen. Aufgeteilt nach Kindheit, Jugend und Sucht hat sie zwischen 1967 und 1971 ihre Autobiografie veröffentlicht. Vor allem der Titel des dritten Teils verrät, welchen Lauf ihr Leben nimmt. Aufgewachsen in einem Arbeiterviertel sieht sich Ditlevsen von Anbeginn den in ihrem Milieu festgeschriebenen Geschlechterrollen konfrontiert. Und diese besagen, dass eine Frau nicht Dichterin werden kann. An diesen starren Vorstellungen zerbricht Ditlevsen letztendlich. Nach ihrem frühen Schulabschluss arbeitet sie in wechselnden Stellungen als Haushaltsgehilfe, als Küchenmädchen, als Lager-, schließlich auch als Bürokraft und Sekretärin. In ihrer freien Zeit widmet sie sich dem Verfassen von Gedichten, nicht zuletzt ermutigt durch die Bekanntschaft mit einem Antiquariatsbuchhändler. In dieser Beziehung erlebt sie zum ersten Mal als Person mit ihrem Fähigkeiten wahr- und ernstgenommen, nicht aber als Frau geliebt zu werden.

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Das Bewusstsein ist eine gefährliche Waffe für den, der sie führt

Die Wahlverwandtschaften im Schauspiel Frankfurt

Eduard, ein wohlhabender und gebildeter Mann, befindet sich in einer Ehe mit Charlotte, die ihm nicht mehr die Erfüllung gewährt, die er von einer Ehe erwartet. In der jungen Ottilie sieht er seine Herzensgefährtin, seine Wahlverwandte. Ottilie, die in der Obhut ihrer Tante Charlotte lebt, ist jedoch unschlüssig in Bezug auf ihre eigenen Gefühle und ihre Zukunft. Als weiterer Protagonist tritt Otto ins Spiel, ein alter Freund von Eduard und Charlotte. Die sich anbahnende Verwirrung der Gefühle spitzt sich zu, als Otto für einen längeren Aufenthalt bei Eduard und Charlotte weilt und seine Leidenschaft für Charlotte entdeckt. Von den vier in Beziehungen miteinander verwickelten Menschen überleben am Schluss nur zwei.

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Unvergessliches Konzert in Nieder-Moos

@ Zülküf Kurt

Sommerkonzerte gehen in diesen Tagen zu Ende, wenn der Herbst deutlich sichtbar wird. Neben verschiedenen Konzerten hat die Kirche in Nieder-Moos heute (11.09.2022) ein besonderes Konzert veranstaltet. Die Künstler Albrecht Mayer (Oboe), Sophie Dervaux (Fagott) und Evgenia Rubinova (Klavier) gaben ihr Konzert vor großem Publikum. Mit Werken von Jean Françaix, Roger Boutry, Camille Saint-Saëns, Dutilleux und Francis Poulenc boten die Künstler  in der ersten Hälfe des Konzerts eine musikalisch anspruchsvolle Darbietung.

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Blaue Brise bei Nieder-Moos

@ Zülküf Kurt

Auch wenn sich die Sommerkonzerte dem Ende zuneigen, am Sonntag den 4. September, bietet die Nieder-Mooser Kirche weiterhin beeindruckende Konzerte. 4 Saxophone, ein Cello und ein Klavier und sechs talentierte Künstler. Arcis Saxophon Quartett: Claus Hierluksch (Sopransaxophon), Ricarda Fuss (Altsaxophon), Edoardo Zotti (Tenorsaxophon), Jure Knez (Baritonsaxophon). Und Rahaela Gromes(Cello) sowie Julian Riem(Klavier).

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Konzert gegen den Krieg

@ Zülküf Kurt

Die Nieder-Mooser Kirche veranstaltete am Sonntag, den 21. August, ein außergewöhnliches Konzert. Das Konzert mit dem Hornisten Felix Klieser und der Russischen Kammerphilharmonie St. Petersburg war aus allen Orten des Vogelsbergs gut besucht.

Schon Wochen zuvor war angekündigt worden, dass ein ungewöhnliches Konzert stattfinden würde. Der aus russischen Musikern zusammengesetzten Kammerphilharmonie schlossen sich auch ukrainische Künstler an, die nach dem Krieg in der Ukraine ihr Land verlassen mussten. Ein ganz besonderer Musiker war zweifelsohne Felix Klieser. Klieser ist ein Hornist, der ohne Hände und Arme geboren wurde. Er spielt das Instrument mit seinen Füßen. Der Besitzer dieser außergewöhnlichen Fähigkeiten machte neugierig.

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Prof. Edgar Krapp (Orgel) – Katja Stuber (Sopran)

@ Zülküf Kurt

Wir erleben die heißesten Tage des Sommers. Einerseits das Wasserproblem, andererseits trocknet die zunehmende Dürre die Vogelsberger Wälder weiter aus. Während die Diskussionen darüber, wo das unterirdische Wasser von Vogelsberg verbracht wird, weitergehen, schlägt die Natur stellenweise mit Waldbränden Alarm. Auch die traditionell stattfindenden Sommerkonzerte in der Nieder-Mooser Kirche sind wichtige Veranstaltungen gegen die kulturelle Dürre.

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Matthias Eisenberg und das Vokalensemble The Octavians

@ Zülküf Kurt

Die traditionellen, alljährlich stattfindenden Nieder-Moos-Sommerkonzerte gehen auch in diesem Jahr unvermindert weiter. Am 6. August kamen die Kunstfreunde im Vogelsberg zum Konzert zusammen. Das Konzertprogramm mit der Beteiligung von Matthias Eisenberg und dem Vokalensemble The Octavians war umfangreich. Der Leiter des Nieder-Mooser Konzertsommers Alexander Eifler hielt die Eröffnungsrede. Im Anschluss traten die Octavians auf. Die Gruppe, die als Kulturbotschafter Deutschlands Konzerte in vielen Ländern veranstaltet, ist ein junges, aber erfahrenes Ensemble, dass die Möglichkeiten der Bühne umfänglich zu nutzen versteht.

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Saodat Ismailova: Bibi Seshanbe

Die Diskussionen um die documenta scheinen sich nicht beruhigen zu wollen. Nach wie vor fokussieren sie antisemitische Positionen, ohne jedoch dabei sonderlich in die Tiefe zu gehen, verschiedenen Sichtweisen einander gegenüberzustellen und dem Blickwinkel der Kuratoren Raum zu geben. Sicher habe auch die Kuratoren der documenta wenig dazu beigetragen, ihr Auffassung zu erhellen und den Gebrauch einer Symbolik, die die Diskussionen ausgelöst hat, ausreichend zu erläutern. Absehbar wird es in dieser Diskussion keine abschließende Klärung geben und wohl auch kein Ausloten unterschiedlicher Sichtweisen. Schade ist nur, dass den vielen wenig fruchtbar geführten Diskussionen die auf der documenta ausgestellten Werke zum Opfer zu fallen drohen. Kaum wird über sie gesprochen, über sie geschrieben. Mögliche Interessenten der documenta fragen sich inzwischen, ob sich der Besuch der Weltkunstausstellung nun in diesem Jahr tatsächlich lohne oder ob man sich die Reise nach Kassel ersparen könne.

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Nordwind im Vogelsberg

© Zülküf Kurt

Die von der Niedermooser Kirche organisierten Sommerkonzerte werden unter Beteiligung verschiedener Gruppen fortgesetzt. Es ist sehr erfreulich, dass die aufgrund der Pandemie lange ausgesetzten Aktivitäten endlich fortgeführt werden.

Am Abend des 30. Juli können wir sagen, dass sich die Kunstliebhaber des Vogelsbergs in Niedermmos  versammelt haben. Es versteht sich von selbst, dass das Interesse an dem Konzert der Musikgruppe TenThing, die aus 10 Frauen aus Norwegen besteht, größer denn je ist.

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