Nino Haratischvili: Phädra in Flammen

Schauspiel Frankfurt, Kammerspiele

Die Figur der Phädra ist als zweite Gattin des König Theseus von Athen aus der griechischen Mythologie bekannt. Von Aphrodite verhext, verliebt sie sich in ihren Stiefsohn Hippolytos, der jedoch ihre Annäherung brüsk zurückweist. Aus Rache und Verzweiflung nimmt sich Phädra das Leben, nicht jedoch ohne eine Nachricht zu hinterlassen, in der sie die Tatsachen verdreht und Hippolytos beschuldigt, sie verführt zu haben. Von Theseus verflucht flieht Hippolytos, wird dabei jedoch Opfer des von Theseus beauftragten Meeresgottes Poseidon.

Foto: Jessica Schäfer

Der um Phädra angesiedelte Stoff ist vielfältiger Gegenstand in Kunst und Literatur. Zu den bekanntesten Rezeptionen zählen die von Euripides und Racine. Letzterer veredelt die Motive Phädras, indem er deren Amme zwischenschaltet und diese Hippolytos beschuldigt, sich an Phädra vergangen zu haben. Euripides hatte Phädra zunächst als schamlose und unbeherrschte Frau charakterisiert, damit aber wenig Erfolg bei seinem Publikum gehabt. In einer späteren Bearbeitung von Sophokles wird Phädras Verhalten aus der unendlichen Langeweile und Einsamkeit erklärt, in der sie sich am Athenischen Hof findet.

Jüngst hat sich die georgische Schriftstellering Nino Haratischwili, die durch ihren umfangreichen Roman Das achte Leben dem Stoff breite Bekanntheit erlangte, zugewandt. Sie greift den antiken Stoff als Auftakt einer von ihr geplanten Trilogie zu „starken Frauen aus der Mythologie“ auf – ein Themenfeld, für das das antike Drama reichlich Quellen bereithält Dabei richtet sie den Blick nicht nur auf die Frauen, sondern versucht die antike Situation in ein zeitgenössisches Licht zu stellen. König Theseus ist in die Jahre gekommen, die Kraft der Jugend ist verfolgen, sein Interesse an seiner Gattin Phädra abgeflaut. Doch muss er sich um den Fortbestand seiner Errungenschaften kümmern – die Verwaltung seiner Eroberungen, die Pflege seines Ruhmes und die Anerkennung seines Volkes. All das will er seinem ältesten Sohn Demophon übertragen, sobald dieser verheiratet ist. Als Braut hat er für sie die aus Kreta stammende Persea ausgewählt. Sie ist nun an den Hof von Athen gereist, um von Demophons Mutter in die Gepflogenheiten am athenischen Hofe eingeführt zu werden. Schnell zeigt sich, dass Persea ganz anders ist, als erwartet. Nicht nur zeigt sie sich freier in ihren Gedanken und äußert sie auch frei, sie steht auch zu ihren Empfindungen und gibt ihnen nach. Unweigerlich kommt es zur Kollision zwischen den am Hofe herrschenden Vorstellungen und denen der jungen Leute, die nicht nur durch das zukünftige Königspaar repräsentiert sind, sondern ebenso den jüngeren Bruder von Demophon. Acamas interessiert sich so gar nicht für den sportlichen Wettkampf, der in für den Krieg vorbereiten soll und ebenso wenig für die Regeln am Hofe. Er folgt seinen kindlichen Gepflogenheiten, die in der Aufzucht von allerhand kleinen Tieren besteht und der neugierigen Erkundung der nicht öffentlichen Welt der Erwachsenen. Mit der als Gemahlin für seinen Bruder bestimmten Persea, gespielt von Lotte Schubert, freundet er sich schnell an. Beiden gemeinsam ist, dass sie sich nicht ohne Weiteres in die Rollen fügen, die ihnen die Etikette vorschreibt. Ihnen stehen Standesbewusstsein und eingeübtes Rollenverhalten gegenüber, die meisterhaft in König Theseus verkörpert sind, der von Sebastian Kuschmann gespielt wird. Rückhalt findet es im Hohepriester Panopeos. Scheinbar um die Anerkennung des Königs durch das Athenische Volk bemüht, strebt er danach alte Riten wiederzubeleben, so auch das Menschenopfer. Sein Eifer dient ihm zugleich dazu, seine Herkunft und mehr noch seine zwiespältige Beziehung zum König zu verbergen. Sichtlich werden Anzeichen eines religiösen Fundamentalismus spürbar, die bestehende Ordnung droht auseinander zu brechen – und das in jeder Hinsicht: im Politischen wie im Privaten. Theseus reagiert mit einer radikalen Kehrwende, indem er versucht, die Regierungsgewalt mit aller Macht in seinen Händen zu halten. Doch nun sieht er sich auch den Angriffen seines zweitgeborenen Sohns Acamas ausgesetzt.

Foto: Jessica Schäfer

Hatte schon die antike Bearbeitung des Stoffes Phädra unter unterschiedlichen Blickwinkel erfasst und nicht zuletzt Racine ihre Wesenszüge gemildert, liefert Haratischvili ein eindrückliches Bild einer Frau, deren Leben zwischen den von außen gestellten Erwartungen und eigenen Wünschen und Vorstellungen zerfällt. Diesen Zwiespalt zu vermitteln gelingt nicht nur Haratischvili mit der Textvorlage, sondern Anna Kubin, die die Phädra spielt. Antiker Stoff und moderne Sichtweisen durchdringen nicht nur den Inhalt, sondern die gesamte Inszenierung. Das ist die Bühne, deren Bodenbelage mit einer kreisrunden Form vorsichtig den antiken Theaterbau andeutet, das sind ebenso die Gewänder und vor allem die Sprache, die Diktion und die Mimik der Schauspieler. In wohlgeformter Rede übermittelt sie die wesentlichen Inhalte des Stoffes, nicht ohne dabei auch Auskunft über ihre Empfindungen zu geben. So berichtet gleich zu Beginn Phädra, dass sie gleichsam als Ersatz für ihre Schwester Ariadne Königin von Athen geworden ist. Sie erzählt, wie ihr ganzes Leben darauf ausgerichtet war und ist, die Macht ihres Gatten zu stützen, zu repräsentieren und die Wünsche des Volkes zu erfüllen. Eigene Vorstellungen und der Wunsch nach Privatheit haben da keinen Raum. Diese Offenbarung bricht aus ihr förmlich hervor. Sobald sie auf ihre eigenen Wünsche, Gefühle, Empfindungen zu sprechen kommt, ist sie von Bitterkeit erfüllt, die deutlich in Diktion und Wortwahl wird. Vor allem aber tritt an diesen Stellen die zeitgenössische Interpretation des antiken Stoffes deutlich hervor. Die von der Rolle der Königin geforderte Aufgabe all dessen, was die eigne Persönlichkeit ausmacht, versucht Phädra auch der jungen Persea zu übermitteln, sie zugleich darauf vorzubereiten, dass der Königshof im Grunde ein Gefängnis ist, in dem sie an keiner Stelle unbeobachtet sein wird. Er wird ihr auch keinen Raum bieten, eigene Interessen zu pflegen. Als bekannt wird, dass Persea über Kenntnisse in der Pflanzenheilkunde verfügt, bedroht sie der ambitionierte Priester Panopeos, den Andreas Vögler verkörpert. Er macht deutlich, dass Heilung nur die Götter gewähren und alles andere der Gefahr untersetzt, als Hexerei geahndet zu werden.

Foto: Jessica Schäfer

Aller Öffentlichkeit am Hofe zum Trotz liefert das Badehaus scheint das Badehaus einen Ort der Zuflucht für Privatheit zu bieten. Und hier entfalten sich die keineswegs heimlichen Gefühle, die Persea für Phädra hegt. Weist Phädra sie zunächst schroff zurück, erkennt sie doch schnell, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben glücklich ist. Ihre Gefühle bleiben nicht unbeobachtet. Acama, gespielt von Mitja Over, enttäuscht von der Vernachlässigung, die er durch Persea erfährt, lässt sich zu Äußerungen hinreißen, die unweigerlich das Ende der Tragödie einleiten. Persea wird festgenommen und von Panopeas als Opfer für das Pharmakos, das rituelle Menschenopfer ausersehen. Es ist zugleich die letzte Szene der Aufführung, in der Panopeas in einer dem antiken Drama abgeschauten Mauerschau die Geschehnisse eindrücklich allen Anwesenden übermittelt. Persea wird von Hunden zerfleischt und Demophon, der inzwischen erkannt hat, dass Theseus ihm nicht die Regentschaft übertragen wird, gelingt es nicht, ihr zur Hilfe zu eilen. Bei aller Ambivalenz, die sich mit den Rollen verbinden, gelingt es allen Schauspielern, ihre Charaktere sympathisch erscheinen zu lassen. Selbst dem radikalen, ja fundamentalistisch auftretenden Panopeas gelingt es, seine verletztliche Stelle zu offenbaren und damit Sympathie zu wecken.

Die Uraufführung von Haratischwilis Stück Phädra in Flammen fand im Mai 2023 am Berliner Ensemble statt, im Frankfurter Schauspiel ist das Stück seit der Sommersaison 2024 auf der Bühne.

BESETZUNG
Miguel Klein Medina (Demophon)
Anna Kubin (Phädra)
Sebastian Kuschmann (Theseus)
Mitja Over (Acamas)
Lotte Schubert (Persea)
Andreas Vögler (Panopeus)

TEAM
Regie: Max Lindemann
Bühne: Signe Raunkjær Holm
Kostüme: Eleonore Carrière
Dramaturgie: Lukas Schmelmer
Licht: Jan Walther

Die Ehe der Maria Braun

Schauspiel Frankfurt

Standbild aus Video Moritz Grewenig

Bekannt ist der Titel durch Rainer Werner Fassbinder Film von 1979. Es bildet den ersten Teil einer als BRD-Trilogie bestimmten Folge, die mit Lola und Die Sehnsucht der Veronika fortgesetzt wurde. Nachgezeichnet wird der Gründungsmythos der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg. Die um Maria Braun zentrierte Handlung setzt in den Kriegsjahren ein. Ihre Ehezeremonie, eigentlich nur ein Besuch beim Standesamt, wird durch einen Luftangriff gestört. Das Paar findet sich schutzsuchend vor der Kulisse zusammenstürzender Häuser wieder. So zumindest übersetzt die Inszenierung des Schauspiels Frankfurt den Beginn der Handlung.

Von ihrer Ehe bleibt Maria Braun zunächst nicht viel. Hermann Braun wird einberufen und einige Zeit später an als vermisst gemeldet. Allerdings vertraut Maria ihrer Hoffnung mehr als den Nachrichten und warte über viele Tage an der Bahnstation mit einem Schild, ob entweder Hermann selbst zurückehrt oder sie wenigsten etwas über sein Schicksal in Erfahrung bringen kann. Stattdessen erhält sie ein eindrückliches Bild von den Einschlägen, die der Krieg in individuelle Schicksale genommen hat. Eine Krankenschwester erzählt ihr von den Verletzungen, die sie behandelt hat und auch, dass ihr eigener Mann gleich im ersten Kriegsjahr gefallen sei.

Standbild aus Video Moritz Grewenig

Maria bleibt schließlich nichts anderes übrig, als sich in die Gegebenheiten der Zeit zu fügen. Über Tauschhandel auf dem Schwarzmarkt versucht sie das Nötigste zu besorgen, was sie und ihre Mutter für das Überleben brauche. Dieser gleichsam im Hintergrund verlaufende Handlungsstrang, der den Alltag von Mutter und Tochter andeutet, gibt zugleich Auskunft über die allmählich sich verbessernde Situation. War anfänglich der Tisch spärlich gedeckt, stehen bald Kartoffeln mit Speck bereit. Marias Freundin Betty tritt ins Spiel. Sie zählt zu den Glücklichen, deren Mann Willi gesund aus dem Krieg zurückgekehrt ist. Maria hat inzwischen Arbeit in einer Bar gefunden, die nur Angehörigen der Army offensteht und Damen nur als Animierdamen erlaubt. Hier lernt sie den schwarzen GI Bill kennen. Durch Bill, der sie mit Geschenken verwöhnt, lernt sie Englisch, bis eines Tages Hermann plötzlich zurückkehrt. Um einem Konflikt zu entgehen, bringt Maria Bill um und wird vor das amerikanische Gericht gestellt. Ein Übersetzer soll helfen, die komplizierten Unterschiede zwischen Liebhaben und Lieben verständlich zu machen, was aufgrund der Struktur der englischen Sprache scheitert. Doch liefert sie Szene Hermann das entscheidende Stichwort, die Schuld auf sich zu nehmen und anstelle von Maria die mehrjährige Haftstrafe abzusitzen.

Foto: Birgit Hupfeld

Maria nutzt die Jahre, um Geld zu verdienen, Wohlstand zu erwerben und darüber das künftige Glück ihrer Ehe zu sichern. Mögen dies anfangs ihre Beweggründe gewesen sein, verliert sich Maria immer mehr an das Erfolgsstreben auf Kosten ihrer Empfindungen. Vielleicht weiß sie am Schluss selbst nicht mehr, ob sie Herman noch liebt, trotzt ihrer wiederholten Bekundung. Auch ihre Mitmenschen bemerken, wie hart sie geworden ist. Die einst mit Bill gelebt Affäre setzt sie mit ihrem Arbeitgeber fort, den französischen Unternehmer Oswald, ihr den ökonomischen Aufstieg überhaupt erst ermöglicht. Doch offenkundig sieht er in ihr nicht nur eine nützliche Unterstützung, die die englische Sprache beherrscht und bei seinen Verhandlungen übersetzt, sondern mehr noch die Frau, die er begehrt und liebt. Die Affäre treibt zugleich Maria und Hermann auseinander, denn obgleich Maria auch Oswald gegenüber kalt bleibt, entfernt sich Hermann von ihr. Schließlich aus dem Gefängnis entlassen, zieht er fort. Er gibt vor, zunächst einmal sich selbst finden zu wollen. Ihm bedeutet es nichts, was Maria in den Jahren aufgebaut hat. Im Gegenteil erscheint ihr Vermögen ihm wertlos, wäre es doch seine Aufgaben gewesen, die Nachkriegsjahre zu nutzen, um Wohlstand und Familie aufzubauen.

Fassbinders Maria Braun ist eine ebenso komplexe wie komplizierte Figur. Weder im Film noch in der Inszenierung erscheint wirklich hart. Dort wo sie schroff, geradlinig auftritt, vermittelt sich der Eindruck, sie hielte nur ein Schild vor sich, um ihre Empfindungen und vor allem ihre Liebe für Hermann zu schützen. Erst durch den Ausruf der Mutter „Kind, du hast dich ja so verändert“ führt eine Art Wende herbei. Maria reagiert immer unduldsamer und auf Hermanns Fortgang reagiert sie mit Rückzug.  

Standbild aus Video Moritz Grewenig

Die Frage, wie ein Filmhandlung auf die Bühne gestellt werden kann, erübrigt sich, verfährt doch bereits Fassbildners Film äußerst sparsam. Dem gegenüber erscheint die Bühneninszenierung des Schauspiel Frankfurt geradezu üppig. Die Bühne teilt sich in einen Vorder- und einen Hintergrund. Letzterer ist größtenteils durch einen Vorhang verdeckt, zugleich jedoch das Geschehen hinter dem Vorhang über Bildschirme in den Bildmittelgrund projiziert. Der Wechsel der Schauspieler zwischen den Bühnengründen demonstriert den Fortgang der Handlung, ebenso aber auch die parallel nebeneinander verlaufenden Lebenssituationen, wie das häusliche Ambiente, in dem vorwiegend die Mutter Marias agiert, und das Geschäftsleben Marias, das ihren Aufstieg befördert. Choreografische Einlagen mit Hula-Hopp-Reifen und blauen Sitzbällen vermitteln das Kolorit der 1950er Jahr und die Dynamik, mit der der wirtschaftliche Aufschwung betrieben wird. Dynamisch agiert auch das Team, denn etliche Schauspieler decken mehrere Rollen ab. Dabei wechseln sie nicht nur die Kostüme, sondern auch Auftreten und Diktion. Der Bühnenraum wird mit wenigen Requisiten, dafür aber umso lebendiger bespielt. Die Lebendigkeit ist nicht nur durch den medialen Wechsel von Projektion und Szenenbild gegeben, sondern ebenso durch den von musikalischer und choreografischer Einlage, nicht zuletzt das Schlagzeug, dessen kraftvolle Töne die Untergangsstimmung in den Zuschauerraum tragen, der zum Auftakt den Bombenabwurf vermittelt, am Schluss die zerstörten Leben.

Die Ehe der Maria Braun ist weit mehr als ein persönliches Drama – es ist eine Allegorie auf die Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Maria die deutsche Gesellschaft verkörpert, die sich aus der Asche des Krieges erhebt, pragmatisch den Neuanfang meistert und dabei die eigene Vergangenheit verdrängt. Ihre Ehe, die formell besteht, aber emotional zerbrochen ist, wird zum Symbol einer Gesellschaft, die äußerlich erfolgreich, innerlich jedoch zerrissen ist.

BESETZUNG
Manja Kuhl (Maria)
Isaak Dentler (Hermann / Schaffner / Kellner)
Heidi Ecks (Mutter / Vevi /Notarin)
Tanja Merlin Graf (Betti / Schwester / Journalist / Frau Ehmke)
Patrick Bimazubute (Standesbeamter / Bill / Dolmetscher / Hans)
Sebastian Reiß (Bronski / Oswald / Kellner)
Michael Schütz (Opa Berger / Arzt / Richter / Amerikaner / Anwalt)
Christoph Pütthoff (Willi / Händler / Senkenberg)

TEAM
Regie: Lilja Rupprecht
Bühne und Kostüme: Annelies Vanlaere
Musik: Fabian Ristau
Video: Moritz Grewenig
Choreographie: Rônni Maciel
Dramaturgie: Katrin Spira
Licht: Marcel Heyde

Ein Sommernachtstraum

Schauspiel Frankfurt

Das Stück entstand wahrscheinlich 1595. Die Rahmenhandlung, die Vermählung Theseus‘ mit der Amazonenkönigin Hippolyta und die Segnung dreier Brautpaars durch Elfen am Schluss, lässt vermuten, dass das Stück als Festspiel für eine Fürstenhochzeit bestimmt war. Bereits die Rahmenhandlung ist komplex, geht es hier doch um Liebes- und Heiratshandel. Nach athenischem Recht ist es der Vater, der den Ehemann für seine Tochter bestimmt – und zeigt sie sich nicht willig, ist er berechtigt, Gewalt anzuwenden, zur Not auch die ungefügige Tochter hinzurichten. Diese Regelung allein ist jedoch nicht der einzige Grund, dass Hermia, die Tochter Theseus, und Lysander nicht die Ehe eingehen können. Schwerwiegender ist, dass Theseus dem Werben Demetrius‘ nachgegeben hat. Zu weiteren Komplikationen kommt es, weil auch Demetrius geliebt wird, allerdings nicht von der von ihm ersehnten Herminia, sondern von deren Freundin Helena. Gespielt wird Theseus von Isaak Dentler, Hippolyta von Anna Kubin, die zugleich auch Titania, die Gattin des Oberon verkörpert. In der Rolle von Lysander ist Mitja Over zu sehen, in der von Hermia Rokh Ober und Helena wird von Tanja Merlin Graf gespielt. Parallel zu den Heiratsverhandlungen agiert eine Athener Schauspieltruppe, die die Aufführung eines Stücks am Hofe des Königs anlässlich der anstehenden Hochzeitsfeierlichkeiten vorbereiten. Auch in ihrem Stück geht es um ein Liebespaar, das aufgrund familiärer Konstellationen nicht zueinander kann. Doch finden die Liebenden Mittel und Wege, miteinander zu kommunizieren und vereinbaren ein heimliches Treffen, das ihre gemeinsame Flucht vorbereiten soll. An dieser Stelle zeigt die Theaterhandlung eine Parallele zu den Plänen von Herminia und Lysander. Doch diese werden auf wundersame Weise unterlaufen. Wie und auf welche Weise ist Gegenstand der Kernhandlung von Shakespeares Komödie.

Foto: Arno Declair

Es ist die Handlung, die dem Stück ihren Titel gegeben hat, sie den Hauptteil des Stückes und ereignet sich in einer Traumwelt – einem Waldstück, in dem Elfen ihr Wesen treiben und in Spiel und Scherz allerhand Verwirrung zwischen den Menschen stiften. Der Elfenkönig Oberon will sich mit einem Schabernack an seiner Gemahlin rächen, weil sie seinen Wünschen nicht gerecht wird. Über Puck, seinen Bockbeinigen Gehilfen, lässt er sie mit Hilfe vom Saft einer Pflanze mit magischen Kräften, verblenden. Wacht sie aus ihrem Schlaf auf, wird sie sich in das erstbeste Wesen, das sie sieht, verlieben. Dass dies nun ausgerechnet der ebenfalls von Puck in einen Esel verwandelte Zettel ist, ist Zufall. Zettel, gespielt von Christoph Pütthoff, gehört zu der Schauspieltruppe, die die Aufführung für die königliche Hochzeit vorbereitet hatten. So verschränken sich an dieser Stelle die Handlungsstränge. Das Geschehen gleitet in eine mehr oder weniger unwirkliche Welt – die der Feen, Elfen und anderer Wesen, die heimlich im Wald ihr Wesen treiben. Im Stück unter der Regie von Christina Tscharyiski ist diese Zauberwelt durch kunstvoll geschwungene Brücken und Balken in einem aus Papierschnitten gewebten Dickicht vorgestellt. Der Zauberwald leuchtet rot im Bühnenmittelgrund, er bildet eine fuchsrote Kulisse für die in roten Kostümen auftretenden Elfen. Es sind enganliegende Anzüge, die Körperbewegungen und Gestik viel Raum lassen, doch gleichzeitig sind sie mit fantasievollen Ornamenten überzogen, die den Körpern zusätzliche Konturen aufprägen. Lose flatternde Schleicher umschweben den einen oder anderen. Durch das viele Rot setzt sich der Aktionsraum sichtlich gegen die übrige Welt ab, die der Schauspieltruppe und die des Königs und seiner zukünftigen Gemahlin Hippolyta. Dennoch sind die unterschiedlichen Wirklichkeitsebenen nicht hermetisch gegeneinander abgeriegelt. Die Schauspieltruppe hat das Waldstück für ihre Proben gewählt, König Theseus zieht mit seinem Gefolge bei der Jagd durch eben diese Gegend. Die Elfen bleiben allerding, sobald Menschen nahen, im Verborgenen. Den Menschen nähern sie sich nur im Schlaf. Diese Gegebenheit erlaubt es, die Handlungsabläufe jederzeit als Traumgeschehen zu betrachten, also aus der Wirklichkeit der Rahmenhandlung auszugrenzen.

Foto: Arno Declair

Die auf mehreren Ebenen angesiedelte Handlung lässt deutlich werden, dass Shakespeare auf unterschiedlichste Quellen zurückgriff. Anregungen bezog er wohl von Geoffrey Chaucer, dem Dichter der Canterbury Tales, weiterhin von Thomas Norton Plutarch-Übersetzung der Lebensschilderung des Königs Theseus und nicht zuletzt Ovids Metamorphosen, in denen die Geschichte von Pyramus und Thisbe ausführlich beschrieben wird. Bei Shakespeare allerdings wird sie zum Gegenstand einer Persiflage und das Leid der Liebenden ins Komische verkehrt. Diesen Aspekt greift die Schauspieltruppe grandios auf, um gleichzeitig auch das Schauspiel als solches als Spiel zu inszenieren. Zur vollen Darstellung der Geschehnisse um Pyramus und Thisbe kommt es dabei nicht. Ihr dramatisches Ende geht im Spiel im Spiel unter. Die Figur des Oberon und seines Elfenvolkes hat sich Shakespeare wohl von dem Theaterstück Huon de Bordeaux inspirieren lassen, das zu seinen Lebzeiten in England aufgeführt wurde. Aber auch die keltische Folklore seiner Heimat mag ihren Einfluss genommen haben. Die Inszenierung entspricht den verschiedenen Bezugsquellen mit einer Gegenüberstellung von Sprache, Bühnenbild und Kostümen. Allein über die Farben von Gewändern und Bühnenausstattung werden die verschiedenen Ereignisebenen ablesbar. Ähnlich verhält es sich mit der Sprache. Eng an Shakespeare orientiert, voll ziehen sich die Reden doch in unterschiedlichem Duktus. Artifizielle Satzkonstruktionen wechseln mit alltäglichen Formulierungen. Akzentuiert werden die Redeanteile durch lebhafte Mimik, durchbrochen von Gesangseinlagen. Bei aller Lebendigkeit, mit der die Spieler ihre Rollen vertreten, vollziehen sich die Handlungen angenehm unaufgeregt, an keiner Stelle überschlagen sich die Stimmen, wird die Musik überlaut oder Balgereien zu gewaltsam. Den Zuschauern bietet sich ungebrochener Genuss, verlangt ihnen an der einen oder anderen Stelle ein vergnügtes Lachen ab.

BESETZUNG
Isaak Dentler (Theseus/Oberon)
Anna Kubin (Hippolyta/Titania)
Mitja Over (Lysander)
Miguel Klein Medina (Demetrius)
Rokhi Müller (Hermia)
Tanja Merlin Graf (Helena)
Andreas Vögler (Egeus)
Annie Nowak (Puck)
Peter Schröder (Franz Flaut/Thisbe/Bohnenblüte)
Melanie Straub (Schnock/Löwe/Mond/Spinnweb)
Michael Schütz (Tom Schnauz/Wand/Senfsamen)
Matthias Redlhammer (Peter Squenz)
Christoph Pütthoff (Niklaus Zettel/Pyramus)

TEAM
Regie: Christina Tscharyiski
Bühne: Stéphane Laimé
Kostüme: Leonie Falke
Stunt Coach: René Lay
Musik: Cornelia Pazmandi
Dramaturgie: Lukas Schmelmer
Licht: Tobias Lauber

Goethes Drama „Faust“ in zwei Teilen an einem Abend im Schauspiel Frankfurt

Johann Wolfgang von Goethes Drama „Faust“ gilt als eines der bedeutendsten Werke der deutschen Literatur und hat entsprechend seit seiner Fertigstellung zahlreiche Inszenierungen erlebt. Vorrang erhielt dabei eindeutig der erste Teil des Dramas, erwies er sich doch aufgrund seiner Inhalte als weit zugänglicher, als der symbolisch aufgeladene und äußerst voraussetzungsreiche zweite Teil.

Foto: Thomas Aurin

Der erste, 1808 von Goethe fertiggestellte Teil zeichnet am Beispiel des Universalgelehrten Heinrich Faust das Bild eines unermüdlich nach Wissen strebenden Menschen. Aus Überdruss am Studium wie auch im verzweifelten Ringen um Erkenntnis geht er schließlich einen Pakt mit dem Teufel ein, der in der Gestalt des Mephisto und von Faust selbst herbeigerufen die Studierstube des Gelehrten betritt. Im weiteren Verlauf des Dramas entspannt sich Faustens Verhältnis zu der ehrsamen, sehr jungen und vom Leben unberührten Margarete, genannt Gretchen. Sie gibt Faust die Gelegenheit, sich als charmanter Liebhaber zu zeigen, nicht zuletzt dank seiner Verjüngung mit Hilfe des Teufels. So ist die sich nun entspannende Tragödie eine Konsequenz von Faustens Allianz treibt Gretchen ins Verderben, während es Faust scheinbar unberührt vom moralischer Zwiespalt angesichts der universellen Fragen nach Schuld, Verantwortung und Erlösung lässt.

Fokussiert der erste Teil grundlegende Fragen der Menschheit am Beispiel von Individuen erweitert der zweite, von Goethe rund 30 Jahre später fertiggestellte und der Öffentlichkeit vorgestellte Teil das Drama hin auf grundlegende gesellschaftspolitische und philosophische Aspekte. Fausts Streben wird hier zum Sinnbild wirtschaftlichen Fortschritts mit dem Anspruch auf Macht und Reichtum. Der Verlauf der äußerst komplexen und von zahlreichen Anspielungen auf Volksglauben und Mythologie getragenen Handlung erfolgt im Zusammenspiel mit zahlreichen Ortswechseln, die Faust und Mephisto über den Brocken im Harz in die griechische Antike führen. Es ist eine Reise durch Raum und Zeit, in der mythologische, politische und ästhetische Motive in einer Weise zusammenfließen, dass eine eindeutige Interpretation nahezu unmöglich ist. Dieser Aspekt erklärt einerseits die lange Zurückhaltung bei der Inszenierung, liefert andererseits aber jeder Epoche das Potential einer neuen Kontextualisierung und je eigener fantastischer Ausdeutung. Eine solche mag man in der Reflektion der Zerrissenheit des modernen Menschen sehen, dessen Streben nach Erkenntnis ihn zugleich erhebt und in moralische Abgründe führt. Das Stück endet, ganz wie es Goethe in seinem Drama vorsieht, mit Faustens Erlösung.

Während nun Jan-Christoph Gockel und Claus Philipp den ersten Teil auf der Frankfurter Bühne auf eine halbe Stunde Aufführzeit verkürzen und dazu die wichtigsten Episoden komprimiert und in einer dichten Folge zum Teil einander überlagernder Bilder über Videoprojektion vorstellen, entfalten sie den zweiten Teil in einer nicht weniger lebendigen, jedoch weit ausführlicher Gegenwartbezüge aufgreifenden Weise. Die Raffung der Handlung am Beginn des Dramas gelingt. Zum einen ist der Stoff des ersten Teils von Faust hinlänglich bekannt, zum anderen unterstützen Texteinblendungen die Orientierung im Ablauf. Die Szene mit ihren Räumlichkeiten werden wie bei einer Regieanweisung auf plakatgroßen Projektionsflächen sichtbar, während gleichzeitig Projektionen Einblick gleichsam in das Innere der Handlung geben. Sie geben dem Zuschauer Gelegenheit mit Faust in Gretchens Zimmer vorzudringen, ohne das Zimmer auf der Bühne auszugestalten, sie rücken aber auch die Gesichter der Schauspieler mit ihrer ausdrucksstarken Mimik an den Zuschauer heran. So sind allein über die Projektion der Gesichter im Bühnenvordergrund wesentliche Abläufe zu verfolgen. Auch werden über die Projektionsflächen Ebenen eingespielt, die helfen, Zeit- und Raumsprünge zu überwinden.

Eine weitere Modalität Raum und Zeit zu raffen, liefert die Inszenierung einer Geisterbahn. Es handelt sich dabei um eine Mischung aus Erlebnisparcour und archaischem Tempelbau, auf dessen oberen Ebene die Schauspieler wie die Figuren eines Glockenspiels filieren, während der unter Teil sie auf einem kleinen Wagen ins Innere entführt, um sie nach einiger Zeit am anderen Ende wieder auf die offene Bühne zu befördern. Die gleichsam innere Erlebniswelt wird dem Zuschauer aber keineswegs vorenthalten, sondern per Projektion überlebensgroß im Bühnenvordergrund bereitgestellt. Die dem Augen viel bietende Bühnengestaltung trägt wesentlich dazu bei, den schwer zugänglichen Inhalt des zweiten Teils des Dramas lebendig und unterhaltend zu vermitteln. Selbst die eingespielten Momente eines Horrorspektakels dienen eher der Belustigung als des Erschreckens. Neben vielem anderen kann die Umsetzung des Kaiserhofs angeführt werden, die als weiteres groteskes Maskenfest inszeniert ist, das Dekadenz und Machtmissbrauch der Herrschenden hervorkehrt. Humor erhält einen wesentlichen Stellenwert in der Aufführung. In erfrischender Weise dient er der Selbstreflexion theatralischer Inszenierung ebenso wie der Neubetrachtung der von Goethe aufgerufenen großen Fragen. Nicht zuletzt wird immer wieder das Publikum direkt adressiert. So gelingt es Gockel und Philipp dem Betrachter in jeder Hinsicht in eine mitreißende Darbietung einzubinden. Beispiele sind nicht nur die inszenierten Begnungen vor dem Theater mit Passanten, sondern ebenso auch die Einladung, einer Fahrt auf der Geisterbahn zu wagen.

Foto: Thomas Aurin

Die Inszenierung der beiden Teile des Dramas im Frankfurter Schauspiel ist eine gleichermaßen bildreiche, medial und schauspielerisch kunstvoll inszeniertes Gesamtereignis, das dem alten Geheimrat Goethe, der gerade im Faust einige visionäre Neuerung vorschlägt, sicher ungemein imponiert hätte. Mit Blick auf die posthumanistische Welt nähert sich Helena als Cyborg, der meisterlich von Melanie Straub gespielt wird, als eine durch neuste Technologie zum Leben gebrachtes Wesen, das durch Programmierung auf festgelegte Reaktion eingespielt wird. Damit steht sie in krassem Kontrast zum alten Faust, der während der ganzen Aufführung lediglich als Gliederpuppe zugegen ist, die ihr Leben lediglich als einem Alter ego bezieht, dass jedoch mehr oder weniger unsichtbar oder vielmehr im Hintergrund bleibt. Wie beim Prager Puppentheater, bei dem die eigentlichen Schauspieler in schwarzen Anzügen vom dunklen Hintergrund der Bühne geschluckt werden, um die Puppen, die sie führen, umso lebendiger erscheinen zu lassen, steht auch der Faust-Puppe ein solch schwarzgekleideter Assistent bei. Tatsächlich ist seine Assistenzfunktion jedoch täuschend, denn stellenweise er als Faustens mephistophelischer Teil in Aktion. Daneben gibt es aber noch eine weitere Faust-Verkörperung, nämlich der junge Faust, gespielt von Thorsten Flassig, der nicht nur den lebensvollen, sondern auch gewissenhaften Teil Faust verkörpert. Faust ist nicht der einzige, der, wie ihm schon seine Rolle vorschreibt, mehrere Persönlichkeiten verkörpert. Auch Gretchen tritt im zweiten Teil des Dramas erneut in Erscheinung, diesmal als die die klassische Walpurgisnacht eröffnende und leitende thessalische Hexe Erichtho. Auch Mephisto, nicht weniger eindrücklich gespielt von Wolfram Koch, zeigt sich in vielen Rollen, wobei Koch, wie einst Gustav Gründgens, meisterlich ironische Distanz, subtiler Verschlagenheit und Humor zu verknüpfen versteht. Die Rollenaufspaltung nachzuvollziehen ist bei der ohnehin schon relativen Dichte an Figuren nicht immer ganz leicht. Gleichzeitig entspricht sie aber der Vielschichtigkeit des Stücks. Und diese zum Ausdruck zu bringen, dabei zugleich die unmittelbare Gegenwart einzubeziehen, ist der Frankfurter Inszenierung auf eindrückliche Weise gelungen. Wiederum sind es Videoprojektionen, die in den Außenraum führen, die Schauspieler auf dem Platz vor dem Theater im Dialog mit Passanten – zumindest vorgeblichen – zeigen, während sie im Bühnenhintergrund als Besucher der Geisterbahn live zugegen sind. Diese für Jahrmärkte typische Einrichtung ist als Motiv der Vergnügungswelt zugleich symbolischer Ausdruck für die sich gleichsam die Zeit überwindende Handlung des Faust-Dramas. Wahrt der erste Teil noch die Einheit von Raum und Zeit, löst der zweite Teil sie vollständig auf, führt Faust nicht nur in die antike Welt, sondern ebenso in die der Geister und Hexen. Eine Geisterbahn, wie man sie auf Volksfesten findet und die kurzfristig den Besucher ebenfalls in eine Welt der Geister entführt, beschreibt den Versuch, die Theaterbesucher mit einer Erfahrungswelt zu konfrontieren, wie sie den Zeitgenossen Goethes beim Lesen des Faust-Dramas vor Augen gestanden haben mag. Zugleich mag man in der Geisterbahn ein Sinnbild der inneren Zerrissenheit Fausts wie auch der Abgründigkeit seines skrupellosen Strebens nach Erkenntnis sehen.

Gebührt allein schon den schauspielerischen Leitungen volle Anerkennung, so sind nicht weniger die Bühnenausstattung und die Kostüme hervorzuheben. Die opulenten Bühnenbilder nutzen Elemente des Volks- und Jahrmarkttheaters, die die ohnehin durch Goethe vorgegebene Dichte des Dramas weiterhin visuell-ästhetisch und atmosphärisch weiter verdichten. Alles in allem verbindet die umfangreiche, abendfüllende Inszenierung der grandiose Spagat zwischen Werktreue und zeitgemäßer Bühnenästhetik. Die Aufführung macht Goethes komplexes Werk nicht nur zugänglich, sondern eröffnet neue Perspektiven auf die zeitlosen Themen von Schuld, Streben und Erlösung. Die Inszenierung wahrt die zentrale Botschaft des Originals, bringt sie aber kurzweilig, angereichert mit zahlreichen Anleihen bei der Popkultur und medial überzeugenden Bildverschränkungen auf die Bühne. Gleichzeitig aber bietet sie mit neuen Sichtweisen und hält neue Betrachtungsweise des gesamten Stoffs bereit.

BESETZUNG
Torsten Flassig (Der junge Faust)
Wolfram Koch (Mephisto)
Lotte Schubert (Margarethe später thessalische Hexe)
Andreas Vögler (Wagner)
Melanie Straub (Helena / Kaiser)
Christoph Pütthoff (Kanzler)
Caroline Dietrich, Anabel Möbius (Euphorion)
Mark Tumba, Patrick Bimazubute (Valentin)
Michael Pietsch (Chor der Insekten)
Roman Fischer, Edeltrud Thobe, Lieselotte Schweikhardt, Wolfgang Schreiber (Philemon und Baucis)
Thomas Moschny (Herold)
Eike Zuleeg (Live-Kamera)

TEAM
Regie: Jan-Christoph Gockel
Bühne: Julia Kurzweg
Kostüme: Janina Brinkmann
Musik & Hörspiel: Matthias Grübel
Video: Eike Zuleeg
Puppenbau: Michael Pietsch
Dramaturgie: Claus Philipp, Katrin Spira
Licht: Marcel Heyde

Arthur Miller: Blick von der Brücke

Schauspiel Frankfurt

Arthur Millers Einakter hatte 1955 in New York seine Uraufführung, eine deutsche Erstaufführung folgte 1956 im Schloßtheater in Berlin. Die vom Autor vorgestellte Handlung vollzieht sich in einiger Distanz zum Zuschauer, der auf die New Yorker Brooklyn Bridge versetzt wird, darüber gleichsam eine Überschau erhält. Miller stand nicht nur in dieser Hinsicht bei der Abfassung seines Stücks der Ablauf einer griechischen Tragödie vor Augen, sondern ebenso beim Handlungsverlauf: die Handlung in seinem Stück liefe mit gleicher Unausweichlichkeit auf die Zerstörung zu wie in einer griechischen Tragödie.

Indes ist das Geschehen in die Gegenwart Millers gesetzt, Ort ist ein Mietshaus im Hafenviertel, der Handlungsverlauf entfaltet sich aus einem komplexen Beziehungsgeflecht, im Grunde eine Eifersuchtsgeschichte, in deren Zentrum das aus Sizilien eingewanderte Ehepaar Eddie und Beatrice Carbone steht. Sie haben ihre verwaiste Nichte Catherine aufgezogen, die bereits in den USA geboren ist. Zu ihr fasst Eddie eine Zuneigung, die über väterliche Empfindungen hinausgehen und ihn dazu veranlasst, sein Mündel in allen Freiheiten einzuschränken. Die Situation eskaliert, als die beiden Cousins von Eddies Frau Beatrice aus Sizilien – Marco und Rodolpho – als illegale Einwanderer nach New York kommen. Rodolphe, der jüngere der beiden, verliebt sich Catherine, wie auch umgekehrt, Catherine in Rodolphe. Damit entfachen die beiden die Eifersucht von Eddie, der alle Möglichkeiten mobilisiert, sie auseinander zu bringen. Er geht sogar so weit, die beiden illegal in New York lebenden Sizilianer bei der Ausländerbehörde anzuzeigen. Nach ihrer Verhaftung wendet sich Catherine von ihrem Ziehvater vollständig ab. Dem Anwalt Alfieri, in der Frankfurter Aufführung durch eine Anwältin ersetzt, gespielt von Heidi Ecks, der bereits von Eddie kontaktiert wurde, um die Ehe zwischen Catherine und Rodolpho zu verhindern, gelingt es, die beiden Sizilianer gegen Kaution aus dem Gefängnis auszulösen. Marco bleibt eine kurze Frist, bevor er endgültig nach Sizilien zurückreisen muss, während Rodolpho die Ehe mit Catherine vor der Ausweisung bewahren wird. Als Eddie eines Tages in trunkenem Zustand nach Hause kommt und Catherine und Rodolpho in eindeutigem Zusammensein antrifft verliert er die Kontrolle über sich und es kommt zu einem tätlichen Übergriff, bei dem letztendlich Eddie tödlich verwundet wird.

Im „Blick von der Brücke“ laufen mehrere Themen zusammen, die schon vor Miller von hoher Brisanz waren und die nach wie vor von äußerster Aktualität sind. Das ist zum einen die Verhandlung von Emigration und Toleranz des Einwanderers als Arbeitskraft und neuem Staatsbürger, das ist zum anderen das konfliktbeladene Verhältnis zwischen den Generationen, die ihre je eigenen Standpunkte und Sichtweisen vertreten. Im Falle von Eddie, Beatrice und Catherine kommt noch das innerfamiliäre Drama hinzu, dass mit einer wechselseitigen Entfremdung der Eheleute wie auch ihrem Verhältnis zu der von ihnen an Kindesstatt angenommenen Tochter Catherine besteht. Eigentlich könnte das Hinzutreten von Marco und Rodolpho, den beiden aus Sizilien illegal eingewanderten Verwandten, die Auflösung des Konflikts herbeiführen. Doch tatsächlich wird er mir ihrem Kommen überhaupt erst eklatant – zum einen, weil einfach die Situation sich zunächst kaum merklich, dann aber immer deutlicher angespannt hat, zum anderen, weil mit Rodolpho Eddie ein konkreter Anlass gegeben ist, sich seiner Empfindungen voll und ganz bewusst zu werden. Rodolpho, der seinem Interesse an Catherine deutlichen Ausdruck verleiht, wird für Eddie zum Konkurrenten.

Foto: Birgit Hupfeld

Doch wie gelingt es, die von außen, nämlich von der Brücke aus betrachteten Geschehnisse auf der Bühne darzustellen? Natürlich kann der Blick von der Brücke metaphorisch genommen werden und tatsächlich verbindet die Frankfurter Inszenierung die Ebenen. Der Blick von außen bzw. von der Brücke liegt ganz bei den Theaterbesuchern, während die Bühne die verschiedenen Handlungsverläufe auf einer Ebene zusammenführt. Das geschieht durch ein mehr oder weniger neutrales Spielfeld, einer Anordnung von kniehohen Wällen. Während des Spielverlaufs werden sie wiederholt gegeneinander verschoben, ohne dabei jedoch explizit Räume zu bezeichnen. Vielmehr werden lose die Aktionsradien der einzelnen Protagonisten angedeutet, die sich immer wieder ineinander verschränken, um dann an der einen oder anderen Stelle auseinander zu driften. Visuelle Anhaltspunkte liefern vor allem die Kostüme der Schauspieler, die soziales Milieu, Tätigkeitsfeld und individuelle Haltung andeuten. Am deutlichsten wird es in dem leuchtend grünen Shirt von Catherine, das sie unter einem ärmelfreien braunen Kleid trägt, dazu hochhakige Sandalen im gleichen Grün wie das Shirt. In dieser Bekleidung deutet sich ein Aufbruch in gleich mehrerlei Hinsicht an: der Abgang von der Schule, um eine lukrative Arbeitsstelle anzutreten, und der Abschied von der Kindheit und den Jugendjahren, um als junge Frau ins Leben einzutreten, was zugleich mit einer Ablösung vom Elternhaus verbunden ist. Catherines zukunftsfrohes Auftreten kontrastiert mit den gleichförmigen Tagesabläufen ihrer Zieheltern. Eddies Alltag besteht in der Arbeit im Hafen, der seiner Frau in der Sorge für Haushalt und Familie. Dem etablierten Leben der Familie steht die ungewisse Existenz der beiden Emigranten Marco und Rodolpho gegenüber, der der eine mit Arbeitseifer begegnet, der andere mit Lebenslust. So unterschiedlich wie in ihrer Lebensweise sind die beiden auch in ihrem Auftreten. Marcos Ernsthaftigkeit signalisiert der braune schlichte Anzug, Rodolphos Künstlernatur die legere, von hellen Farben bestimmte Kleidung.

Foto: Birgit Hupfeld

Der vergleichsweise geringe Zeitrahmen, in dem sich die Handlung abspielt – wenige Wochen nur – spiegelt sich in der über den Spielverlauf hin mehr oder weniger unveränderten Bühnenausstattung und den gleichbleibenden Kostümen. Lediglich im Brautschleier, den Beatrice Catherine bringt, deutet sich das Fortschreiten der Zeit an. Catherine steht kurz vor ihrer Hochzeit mit Rodolpho. Eine zeitliche Dimension macht sich weiterhin im Auftreten der Anwältin bemerkbar, die gleich in mehreren Rollen in Erscheinung tritt. So begleitet sie den Verlauf als eine Erzählerin, die auf das Geschehen hinführt und am Schluss in einer Art Rückschau Eddies Wesen zusammenfasst. Zwischenzeitlich tritt sie in ihrer Rolle als Rechtsberaterin, zugleich aber auch als persönliche Beraterin auf. Mit ihrem Auftreten verleiht sie dem Stück einen festen Rahmen, der das Geschehen zeitlich zusammenhält und doch noch auf eine Zukunft für die Verbleibenden hoffen lässt.

Foto: Birgit Hupfeld

BESETZUNG
André Meyer (Eddie Carbone)
Christina Geiße (Beatrice Carbone)
Nina Wolf (Catherine)
Omar El-Saeidi (Marco)
Arash Nayebbandi (Rodolpho)
Heidi Ecks (Mrs Alfieri, Anwältin)
Statisterie (Zwei Beamte der Einwanderungsbehörde)

Regie: Eric de Vroedt
Bühne: Dennis Vanderbroeck
Kostüm: Lotte Goos
Mitarbeit Kostüm: Katharina Kraatz
Musik: Remco de Jong & Florentijn Boddendijk
Stunt Coach: René Lay
Dramaturgie: Alexander Leiffheidt
Licht: Marcel Heyde

Zeit für Zeugen

Junges Schauspiel Frankfurt in Kooperation mit dem Historischen Museum Frankfurt

Zeitzeuginnen und Zeitzeugen überliefern Geschichte lebendig, individuell und vor allem aus eigener Erfahrung. Zugegebenermaßen ist Zeitzeugenschaft subjektiv, doch gerade damit ergänzt sie die offizielle Geschichtsschreibung kongenial. Und gleichzeitig wirft sie die Frage auf, was eigentlich die offizielle Geschichte ist. Längst ist bekannt, dass die offiziellen Quellen keineswegs objektiv sind oder vielmehr, dass Objektivität nur für einzelne Standpunkte gelten an. Aber Standpunkte und damit Sichtweisen gibt es viel.

Foto: Felix Grünschloß

Das Team des Jungen Schauspiels Frankfurts hätte keinen besseren Ort für das Stück wählen können, als das Historische Museum und hier die die Ausstellung Zeitzeugenschaft? Ein Erinnerungslabor (die noch bis zum 4. Mai 2025 besucht werden kann) und die Bibliothek der Generationen (die zu den permanenten Einrichtungen des Museums gehört). Die Ausstellung stellt in Videos mit Gesprächen mit Überlebenden der Shoah Zeitzeugen vor und weist zugleich darauf hin, dass 80 Jahre nach Kriegsende die Zeugen dieser Periode kaum mehr selbst befragt werden können. Ihre Zeugenschaft bewahrt sich übermittelt, in Briefen, Aufzeichnungen, Videoaufzeichnungen. Und sie wiederum sind Teil der Bibliothek der Generationen. Bei der Bibliothek der Generationen handelt es sich um eine interaktive Installation der 1943 in Oslo geborenen Künstler Sigrid Sigurdsson. Sie ist selbst eine Zeitzeugin. Und die Geschehnisse in ihrem unmittelbaren Umfeld bilden den Hintergrund und den Ansporn für die Einrichtung sogenannter offener Archive. Die Bibliothek der Generationen ist ein solches offenes Archiv. Etabliert wurde es um die Jahrtausendwende, zu diesem Zeitpunkt noch unter der Bezeichnung „Bibliothek der Generationen“. Aufgerufen waren Zeitzeugen des Nationalsozialismus mit ihren Erinnerungen Archivschachteln oder Bücher zu befüllen. Als Gegenstand der aktuellen Bibliothek der Generationen sind sie frei zugänglich und dürfen an bestimmten Tagen unter Aufsicht von Interessierten eingesehen werden. In einer für ein Museum einzigartigen Weise ist es den Besuchern erlaubt, die Archivschachteln zu öffnen, die Aufzeichnungen in die Hand zu nehmen, zu lesen, zu betrachten und in die Erinnerungen von Zeitzeugen einzutauchen.

Inzwischen sind auf die Zeitzeugen der ersten Hälfte des 20, Jahrhunderts weitere Zeitzeugen gefolgt, die über ganz andere und doch wieder ähnliche Geschehnisse Zeugnis ablegen. Krieg und Flucht, Emigration und der Versuch, sich an einem neuen Ort, in einem fremden Staat, in einer fremden Stadt einzurichten, prägen die Erfahrungen. Und nicht nur der „Alten“, sondern auch junger Leute, Kindern und Jugendlichen. Auch sie finden Aufnahme im offenen Archiv im Historischen Museum in Frankfurt, dass inzwischen seine Bezeichnung angepasst hat.

Die Bibliothek der Generationen bildet nun also die Kulisse für Zeit für Zeugen. Das Junge Schauspiel war eingeladen, im Vorfeld im offenen Archiv wie auch der Ausgangpunkt Ende der Zeitzeugenschaft? zu forschen. Die Ergebnisse werden nun im Rahmen einer schauspielerischen Intervention einem breiteren Publikum präsentiert. Von höchst unterschiedlichen Standpunkten aus werden in den Blick genommen Familiengeschichten, Diktaturerfahrungen, Bildungswege, politische Kämpfe, Migration und der Umgang mit Krisen.

Foto: Felix Grünschloß

Ein Team von zehn Schauspielern geht der Zeitzeugenschaft nach, fragt, worin diese besteht und warum sie so wichtig ist. Eine Antwort schwingt bereits in der konkreten Aufführung mit, bei der nur acht Schauspieler anstelle der zehn zugegen sind. Die Abwesenheit spricht für sich, drückt mehr aus, als es Worte könnten. Die Abwesenheit wird zugleich aber auch von den Schauspielern, die zugegen sind, thematisiert. Ausdruck erhält sie unter anderem durch die wiederholte Äußerung „Immer wieder verschwinden Menschen. Ich möchte nicht, dass Menschen verloren gehen.“ Reflektiert werden eigenen Erfahrungen. Sie werden mit den Informationen von den Zeitzeugen zusammengeführt. Den Zuschauern werden die Überlegungen, die Auseinandersetzung mit einem hoch komplexen Thema in einer vielstimmigen Performance nahegebracht. Das Ensemble, das in seiner Zusammensetzung die Vielfalt von Kulturen und Schicksalen repräsentiert, vermittelt, warum die Erzählungen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen für uns heute relevant sind und Lebensgeschichten weitererzählt werden sollen. Während der Aufführung bewegen sich Schauspieler und Publikum durch die Ausstellung. Stellenweise teilt sich das Team und mit ihm die Zuschauer, um getrennt den Darbietungen zu folgen. Verloren geht dabei aber niemanden etwas von der Aufführung, denn im Anschluss an Szene bewegen sich die beiden Zuschauergruppen zu der Position, der sie nicht gefolgt sind. Die Schauspieler wiederholen ihr Spiel. Die Bewegung durch den Raum vermittelt zugleich, was es bedeutet, dazu zu gehören. Schließlich muss man sich an den Stellen, an denen sich das Team teilt, entscheiden, welchem Part man folgt. Und im Anschluss an die Aufführung bietet Martina Droste die Gelegenheit für Fragen.

TEAM
Konzept und Regie: Martina Droste
Kostüme: Anna Sünkel
Musik: Max Mahlert
Chorische Einstudierung: Christina Lutz

BESETZUNG
Pia Ackfeld, Isabella Beebe, Liam Belgorodski, Felix Brößler, Kayleigh Hornbostel, Lillo Hoursch, Livia Jarnagin, Lenz Leuenroth, Abdul Noorzei, Yevheniia Posmitieva

Der Geizige

Drama in fünf Akten von Molière, inszeniert von Mateja Koležnik im Schauspiel Frankfurt

(C) Thomas Aurin

Viola Hildebrand-Schat 

1668 im Palais Royal in Paris uraufgeführt, kommt Molières Klassiker, in dem es um Besitz, Geld und ein angemessenes Verhältnis von Sparsamkeit und Lebensqualität geht, im Frankfurter Schauspiel 2023 in der Inszenierung von Mateja Koležnik mit Erfolg zur Aufführung und das Stück ist auch aktuell noch auf der Frankfurter Bühne zu sehen. Vor dem Hintergrund des Ortes, nämlich der Stadt Frankfurt, erhält Molières Stück eine besondere Note. Immerhin führt der hohe Anteil an finanzstarken Unternehmen in der City und die Tatsache, dass die Einkommensteuern der Arbeitnehmer in Kassen außerhalb der Stadt fließen, zu einem merkwürdigen Spannungsverhältnis. Der sich im Zentrum konzentrierende Wohlstand steht im krassen Kontrast zu den Obdachlosen im Straßenbild rund um das engere Zentrum. Auch wenn Molière zunächst von einer Gegenüberstellung von Geiz und Lebensglück ausgeht, lässt sich sein Stück vielfältig ausdeuten. Das wurde bereits bei der Erstaufführung deutlich. Amüsiert schienen die wenigsten und Molière sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, zum Lachen über einen moralische Haltung zu veranlassen, die zu verurteilen sei. Daneben klingt aber im Stück auch finanzielle Abhängigkeit an. Doch scheint es weniger Lebensnotwendigkeit zu sein, die Finanzkraft wünschenswert macht, als vielmehr der Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung.

„Der Geizige“ weiterlesen

Die Horten Collection: permanente und wechselnde Akzente

Viola Hildebrand-Schat 

Ausstellungsansicht Klimt ⇄ Warhol Foto: Ouriel Morgenstern. © Heidi Horten Collection

Der Hanuschhof in Wien beherbergt die von der Heidi Goëss-Horten gegründete HGH-Vermögensstiftung finanzierte Horten-Sammlung. Die Sammlerin knüpfte bei der Zusammenstellung an Werke der klassischen Moderne an, die noch aus der Zeit ihrer ersten Ehe mit Helmut Horten stammte. 1987 begann sie mit dem systematischen Ausbaut des Bestandes und konzentrierte sich dabei zunehmend auf Gegenwartskunst. Der Hanuschhof wurde im Zuge des Ringstraßenbaus nach Plänen von Anton Hefft errichtet, und das Stöcklgebäude im Innenhof, in dem sich heute das Museum befindet, diente ursprünglich als Reithalle für Erzherzog Albrecht. Später ließ Erzherzog Friedrich die Halle abreißen und als Kanzleigebäude mit einer ebenerdigen Garage neu errichten. Nach der Enteignung kaiserlicher Besitze ging das Gebäude in den Besitz der Republik über und wurde vielseitig genutzt – zuletzt als Kassenhalle der Bundestheater und Kunstverein. Im Jahr 2019 erwarb Heidi Goëss-Horten das Gebäude und ließ es umfangreich zu einem „State of the Art“-Museum umbauen, das 2022 eröffnet wurde, nur wenige Tage vor ihrem Tod.

„Die Horten Collection: permanente und wechselnde Akzente“ weiterlesen

Künstlerbuch oder Künstlerpublikation? Lia und Dan Perjovschi. Autodrawings und Endless Collection, Kunsthalle Göppingen 2003

Viola Hildebrand-Schat 

Dan Perjovschi ist spätestens seit der 48. Biennale 1999 in Venedig und der documenta fifteen 2022 in Kassel einem breiten Publikum durch seine Zeichnungen im öffentlichen Raum bekannt – Wortgebilde im wahrsten Sinne, semiotische Verflechtungen aus verbal- und bildsprachlichen Zeichen. Die Darstellungen gleichen in ihrer Einfachheit schnell auf Hauswände gesprühten Slogans, greifen aber mit Witz und Anspielungen weiter. Auf einfachste Formen, zumeist Konturen reduziert erscheinen sie allgemein verständlich, sind gleichwohl aber voller Anspielungen, nicht zuletzt solchen, die aus Buchstaben- oder Silbenumstellungen wie auch der Verknüpfung von Bild- und Textzeichen resultieren. Mit dieser scheinbar einfachen und zugleich höchst komplexen Äußerungsform schreibt sich der Künstler in einen öffentlichen Diskurs ein, der, wie er wiederholt deutlich macht, den Stellenwert von Kunst innerhalb eines von Politik und Ökonomie bestimmten Gesellschaftssystems deutlich macht. Allerdings beansprucht Perjovschi keine Deutungshoheit für sein Werk. Im Gegenteil ist es geradezu dafür prädestiniert, unter unterschiedlichen Blickwinkeln erfasst und verstanden zu werden. Eine solche Auseinandersetzung mit dem Werk des Künstlers begründet sich aus ihrem reaktiven, orts- und zeitspezifischen Ansatz.

Den Wandzeichnungen, die Perjovschi seit den frühen 1990er Jahren im öffentlichen und halböffentlichen Raum in den Museen westlicher Länder ausgeführt hat, geht eine Entwicklung voraus, die sich mit der Biografie des Künstlers im repressiven System Rumäniens verknüpft, die aber wesentlich die Besonderheit der Zeichnungen und ihrer Genese begründet.

Dan Perjovschi. Autodrawing, 2003
„Künstlerbuch oder Künstlerpublikation? Lia und Dan Perjovschi. Autodrawings und Endless Collection, Kunsthalle Göppingen 2003“ weiterlesen

Untranquil now. Eine Konstellation aus Erzählungen und Resonanzen. Künstlerische Gesten, Performances und Projektionen

Viola Hildebrand-Schat 

Hamburger Kunsthalle, 30. Mai 2014 bis 19. Januar 2025

Die mit dem wenig konkreten Titel Untranquil angekündigte Ausstellung in der Galerie der Gegenwart in der Hamburger Kunsthalle versammelt knapp 50 Arbeiten, die als repräsentativ für die internationale zeitgenössische Kunst gelten können, sofern man angesichts der Fülle, die das Zeitgenössische zu bieten hat, überhaupt von repräsentativ sprechen kann. In jedem Fall erfüllen die Arbeiten, was der Titel verspricht: ein multimediales Gesamtereignis, in dem mit Installation, Zeichnung, Malerei, Video und Sound verschiedene Positionen zur Sprache kommen. Die vertretenen Künstler sind keine Unbekannten, vielmehr einem breiten Publikum bereits durch Teilnahmen an Biennalen, unter anderem in Venedig, Sidney oder im Whitney Museum, oder Ausstellungen in der mit Exponaten aus der Sammlung von François Pinault bespielten Börse in Paris bekannt. Etliche von ihnen waren oder sind auch in Deutschland präsent, so bei der documenta in Kassel, bei Ausstellungen im Haus der Kulturen der Welt in Berlin oder durch einen Stipendienaufenthalt auf Schloss Solitude bei Stuttgart.

„Untranquil now. Eine Konstellation aus Erzählungen und Resonanzen. Künstlerische Gesten, Performances und Projektionen“ weiterlesen