Drama in fünf Akten von Molière, inszeniert von Mateja Koležnik im Schauspiel Frankfurt
1668 im Palais Royal in Paris uraufgeführt, kommt Molières Klassiker, in dem es um Besitz, Geld und ein angemessenes Verhältnis von Sparsamkeit und Lebensqualität geht, im Frankfurter Schauspiel 2023 in der Inszenierung von Mateja Koležnik mit Erfolg zur Aufführung und das Stück ist auch aktuell noch auf der Frankfurter Bühne zu sehen. Vor dem Hintergrund des Ortes, nämlich der Stadt Frankfurt, erhält Molières Stück eine besondere Note. Immerhin führt der hohe Anteil an finanzstarken Unternehmen in der City und die Tatsache, dass die Einkommensteuern der Arbeitnehmer in Kassen außerhalb der Stadt fließen, zu einem merkwürdigen Spannungsverhältnis. Der sich im Zentrum konzentrierende Wohlstand steht im krassen Kontrast zu den Obdachlosen im Straßenbild rund um das engere Zentrum. Auch wenn Molière zunächst von einer Gegenüberstellung von Geiz und Lebensglück ausgeht, lässt sich sein Stück vielfältig ausdeuten. Das wurde bereits bei der Erstaufführung deutlich. Amüsiert schienen die wenigsten und Molière sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, zum Lachen über einen moralische Haltung zu veranlassen, die zu verurteilen sei. Daneben klingt aber im Stück auch finanzielle Abhängigkeit an. Doch scheint es weniger Lebensnotwendigkeit zu sein, die Finanzkraft wünschenswert macht, als vielmehr der Wunsch nach gesellschaftlicher Anerkennung.
Über den gewagten Vergleich von Finanzen und Armut, materiellem Wohlstand und Lebensglück hinaus bietet Molières Stück eine Reihe weiterer Anknüpfungen für die Gegenwart. Dem übersteigerten Geiz von Harpagon, dem zentralen Protagonisten, stehen die von Gefühlen motivierten Konstellationen gegenüber. Das sind zum einen die Partnerwahlen der Kinder von Harpagon. Seine Tochter Élise liebt Valère, der sich als Hausmeister bei Harpagon verdingt hat, um seiner Geliebten nahe sein zu können. Cléante, Harpagons Sohn, liebt Marianne, die Tochter des reichen Ansèlme. Dem reichen wiederum möchte Harpagon seine Tochter Élise zur Frau geben, und zwar einzig und allein, weil er dann keine Mitgift bereitstellen muss. Harpagon, aber auch seine Kinder sehen sich umgeben von Hausangestellten, die ihre eigenen Interessen verfolgen. Mit ihren Handlungen suchen sie das Beziehungsgeflecht aufzubrechen, was dazu führt, dass die schon bestehenden Verwirrungen nur noch größer werden. Eine Auflösung bahnt sich mit dem Auftreten von Ansèlme an. Es zeigt sich nämlich, dass er der Vater von Valère und Marianne ist, die als arme Waisenkinder in das Stück eingeführt wurden. Eben deren vermeintliche Armut stellte das Haupthindernis für ihre Heirat mit den Kindern Harpagons dar. Doch Ansèlmes Vermögen räumt dieses Argument endgültig beiseite und einem happy end steht nichts mehr im Wege. Die verquickten Verhältnisse lassen deutlich werden, wie sehr sich die jüngere Generation in die Abhängigkeit der älteren stellt. „Gerade dem jugendlichen Quartett gelingt es, vom Thema Geiz loszukommen und als eigentlichen Gruselkern des Stücks den Alptraum der Unfreiheit in einer patriarchalen, absolutistischen, wirtschaftlich abhängigen Struktur freizulegen.“ schreibt die Frankfurter Rundschau in ihrer Premierenbesprechung.
Die mit Molières Stück gegebene Vorlage wird weiter aufgebrochen durch Gesten und Bewegung, der eine bisweilen eigenwillige Choreografie zugrunde liegt. So stimmt sich beispielsweise Andreas Vögler, der in der Figur des Jacques dessen Doppelfunktion als Koch, Kutscher und Wagenknecht Harpagons übernommen hat, durch eine an Karate angelehnte Bewegungen auf die jeweils eingeforderte Rolle ein. Die in einer Person zusammenfließenden Funktionen sind bereits bei Molière angelegt, der damit zeigt, dass Harpagon auch am Personal spart, um sein Geld zusammenzuhalten.
Wie ernst die Rollen allerdings im Stück zu nehmen sind, bleibt offen. Keine ist wirklich eindeutig, alle vereinen weibliche und männliche Anteile in sich. Diese Hybridität ist in den Kostümen angelegt und teilt sich im Verhalten mit. Die von Ana Savic Gecan entworfenen Kostüme, in denen sich Anklänge an barocke Stilelemente mit zeitgenössischem Fashion überlagern, vermitteln nicht nur Lebendigkeit, sondern ebenso den Rollen und ihren Protagonisten eine auffällige Ambivalenz. Fast jedes der Kostüme vereint eine an Ordensgewändern orientierte Seriosität, die zugleich durch raffinierte Details, wie einen Faltenwurf, eine Gewandöffnung, Korsett und hohe Stiefel mit den Attributen von Liebensdienern verknüpft werden. Elise gelingt es mit ihrem Geliebten Valère zu flirten, während sie im gleichen Augenblick ihrem Vater Gehorsam signalisiert und Valère ihm absolute Solidarität versichert. Ungut nur, dass er mit seinen Loyalitätsbekundungen Harpagon gegenüber zugleich Elise und seiner Liebe zu ihr in den Rücken zu fallen droht.
Entsprechend beweglich ist auch das Bühnenbild gehalten. Besteht es anfänglich in einer Wand, die von der einen Seite Gold, von der anderen schwarz erscheint und damit Harpagons Gemütsverfassung aufgreifen, wird diese Wand über die Laufzeit des Stückes hin immer beweglicher. Sie löst sich in Teilstücke auf, die sich drehen und damit nicht nur den Raum verändern, sondern auch die Dynamik der Abläufe zu steigern scheinen. Doch auch diese ist bereits bei Molière angelegt. Die Pläne von Heiraten, die so verquer wie nur denkbar anmuten, werden gefährlich konkret, umso mehr, als auch Marianne deutlich ausspricht, dass sie nicht frei entscheiden kann, da sie nicht nur ihr Schicksal, sondern auch das ihrer Mutter zu bedenken habe. Die Auflösung erfolgt mit dem Auftreten Ansèlmes. Allein schon, dass dieser mit einem großen Aufmarsch an Personen und mit viel Geflitter von Gold erfolgt, lässt ahnen, dass nun der Verlauf in sein Finale tritt. Ansèlme ist nicht nur reich und bereit, alle zur Rede stehenden Kosten zu tragen, er gibt sich nicht nur als Vater von Marianne und Valère zu erkennen, sondern macht sich vor allem auch dafür stark, dass seine Kinder die Verbindung eingehen, die ihnen ihre Herzen diktieren. Und als am Schluss auch Harpagon sein angeblich gestohlenes Geld zurück erhält, steht nichts mehr einem glücklichen Ausgang entgegen.
Die Inszenierung, vor allem aber die Schauspieler tragen wesentlich dazu bei, dass die Aufführung nicht in eine bloße Gegenüberstellung von Gegensätzen zerfällt. Vielmehr greift sie zwar die den Protagonisten von ihrem Autor zugeschriebenen Eigenarten auf, um jedoch äußerst differenziert die Vielschichtigkeit der einzelnen Charaktere nachzuzeichnen. Dem Geizige, gespielt von Peter Schröder, gewinnt die Inszenierung dennoch sympathische Züge ab.
Fand Moliéres Stück bei seiner Erstaufführung wenig Gefallen – gelacht habe laut Überlieferung nur Boileau, so ruft die Frankfurter Inszenierung viel Heiterkeit hervor. Gelacht wird vor Vergnügen über Witz, Charme und die sympathische Vermittlung schräger Eigenschaften. Ungeachtet, ob dies nun als Botschaft zu verstehen ist, dass Molières Überzeichnungen nicht immer so ernst zu nehmen sind, wie es wohl noch Molières Zeitgenossen taten, oder ob es einfach die Unbeschwertheit ist, mit der eine von Tragik und Komik zugleich bestimmte Handlung zur Darstellung gelangt, mag dahin gestellt bleiben.
Die Besetzung der Rollen:
Peter Schröder (HARPAGON, Vater von Élise und Cléante)
Torsten Flassig (CLÉANTE, Sohn von Harpagon)
Sarah Grunert (ÉLISE, Tochter von Harpagon)
Jannik Mühlenweg (VALÈRE, Sohn von Anselme)
Tanja Merlin Graf (MARIANE, Tochter von Anselme)
Uwe Zerwer (ANSELME, der reiche tot geglaubte Vater)
Katharina Linder (FROSINE, Gelegenheitsmacherin, Kupplerin)
Andreas Vögler (JAQUES, Koch und Fahrer bei Harpagon)
Wolfgang Vogler (LA FLÈCHE, Cléantes Hausangestellter)
Michael Schütz (DER KOMMISSAR)
Max Böttcher (BRINDAVOINE, Harpagons Angestellter)
Yannick Sturm (LA MERLUCHE, Harpagons Angestellter)