Viola Hildebrand Schat
Der in Trinidad geborene, heute in Gent lebende Johan Grimonprez ist hierzulande kein Unbekannter, war er doch 1997 auf documenta X vertreten. Charakteristisch für Grimonprezs Arbeiten sind sowohl intermediale Verschränkungen wie auch eine fundierte Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Fragen. Dabei stellt er grundlegende Wahrnehmungsweisen zur Disposition, nicht zuletzt auch den immer wieder hervortretenden eurozentristischen Blick.
Doch bei aller Komplexität, die den Arbeiten Grimonprez eigen ist, können sie auch überraschend einfach sein – so ein Zyklus von Zeichnungen, der aktuell in der Galerie Anita Beckers in der Braubachstraße in Frankfurt am Main gezeigt wird.
Unter dem Titel „Pteroptyx Tener“ zusammengefasst ist eine Folge von zwölf Aquarellen, die offenkundig eine Bilderzählung formen, die in einen Text mündet. Die mit tintenblauer Aquarellfarbe, unter den Titel „Killed by a book“ gestellte Handschrift scheint zunächst in keinem festen Bezug zu den Bildmotiven zu stehen. Doch gerade in der Bezugslosigkeit liegt eine wesentliche Aussage, nämlich die, dass es überhaupt keine rationalen Zusammenhänge gibt. „Killed by a book“ summiert einer Reihe von Unglücksfällen auf, die durch Bücher ausgelöst oder gar verursacht wurden. Doch im Rückblick auf das Geschehen – ob jemand zu Tode gekommen ist, weil er durch Lesen abgelenkt unter ein Auto lief, durch ein zufällig vom Regal stürzenden Buch erschlagen wurde oder sich jemand beim Sturz von einer Leiter den Fuß gebrochen hat – scheint die Rolle der Bücher marginal – ja, sie wäre zu übersehen, würde sie nicht durch die Überschrift so betont.
Dem hohen erzählerischen Anteil des handgeschriebenen Textes stehen die übrigen Aquarelle gegenüber, deren Motivik sich Naturphänomenen zuwendet. Auszumachen ist das Licht eines über den Himmel ziehenden Gestirns, das irisierenden Glimmen eines Schwarms von Glühwürmchen in einem nachtdunklen Wald oder die granularen Strukturen von Lichtbrechungen im Wasser. Die Abfolge der romantischen Assoziationen wird lediglich aufgestört durch das Auftreten von nicht näher zu bestimmenden Erscheinungen – blaue Gestalten, die jenen Außerirdischen aus Science fiction gleichen. Gleichzeitig aber bleiben sie in ihren Konturen unscharf, so dass sich unweigerlich die Frage aufdrängt, ob es sich bei ihnen nicht vielmehr um eine Täuschung der Wahrnehmung handle.
Dass die kleine Serie von Aquarellen weit komplexer ist, als hier angerissen, sei ebenso dahingestellt wie, dass der Künstler sie als Teilstück einer größeren Recherche sieht. Das Auge vermag in der Bewegung von Farben und Formen schwelgen, der Betrachter den dadurch ausgelösten Assoziationen folgen und sich an die durch Bilder übermittelte Erzählung einer Graphic Novel erinnert sehen: Kunst von Gewicht muss nicht immer gewichtig auftreten – und darf bisweilen auch einmal unbeschwert dem Auge etwas bieten.
Nicht zuletzt liefert der Künstler selbst einen Anhaltspunkt mit dem Titel seiner Arbeit. Pteroptyx bezeichnet einer Glühwürmchenart, die ihre Blitzlichtmuster synchronisieren können. Die von ihnen ausgesandten Lichtmuster signalisieren ihre Paarungsbereitschaft in der Zeit von Ende Mai bis Mitte Juni. Die charakteristischen Blitzmuster, die von grün-gelblich bis blau changieren, helfen den männlichen und weiblichen Individuen sich wechselseitig zu erkennen. Während die Männchen beim Fliegen ein Blinksignal aussenden, reagieren die Weibchen aus einer Ruheposition mit einer Art Blitz.
Dieser Käferart hat Grimonprez zum Ausgangspunkt eines umfangreicheren Projektes gewählt, innerhalb dessen die Serie der Aquarelle ein Teilstück bildet. Bei seinen Nachforschungen ist der Künstler auf die höchst differenzierte Rolle gestoßen, die die kleinen Käfer in einem komplexen ökologischen Kreislauf besetzen. Damit sind sie für ihn geradezu paradigmatisch für eine Naturerscheinung, die sich in ihrem vollen Umfang dem rationalen Zugang förmlich zu entziehen scheint. Doch gerade in der Uneinsehbarkeit der natürlichen Umwelt liegt für den Künstler ein Ansatz für sein Vorgehen, das die Aquarellserie in einen größeren Zusammenhang einbindet. Grimonprez interessiert sich für naturwissenschaftliche Phänomene, die gemeinhin als den Geisteswissenschaften entgegengesetzt als rational zugänglich und methodisch erschließbar gelten. Dass dem jedoch keineswegs so ist, sucht er anhand von Beobachtungen aufzuzeigen, die sich jeglicher Erklärbarkeit entziehen. Auf diese Lücken scheint er mit seinen Darstellungen anzuspielen. Und so können auch inmitten der an Naturphänomenen orientierten Motive Außerirdische ihren Platz finden. Doch letztendlich bleibt die Frage, was wir über die Erscheinungen hinaus überhaupt wissen, was verstehen können.