Kammerspiel Frankfurt
„Ich habe oft versucht, mich mit der Gestalt meiner Mutter und der Gestalt meines Vaters auseinanderzusetzen, peilend zwischen Aufruhr und Unterwerfung.“ So beginnt Peter Weiss seine 1962 begonnene, 1963 erstmals beim Suhrkamp Verlag erschienene Erzählung Abschied von den Eltern, die auf ihre Weise eine Hommage an die Eltern scheint, tatsächlich aber eine Auseinandersetzung mit dem eigen Ich ist. Die analytische Aufarbeitung der Vergangenheit, die dann im Weiteren den Inhalt bestimmt, greift einer wenige Jahre später fast schon zur Mode werdenden Praktik voraus: der aktive Gebrauch von psychoanalytischen und psychotherapeutischen Methoden.
Für die Generation der 1968er werden sie zu einer Geläufigkeit, die nicht nur im eigenen Selbst begründet ist, sondern mehr noch in dem äußerst problematischen Verhältnis dieser Generation zu der ihrer Eltern. Letztere hat den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus im Erwachsenenalter erlebt und zum Teil mitgetragen. Doch eine an- und abschließende Auseinandersetzung mit der Zeit und ihren Geschehnissen erfolgte nicht. Vielmehr trat an deren Stelle ein aktives Schweigen, was von den Jüngeren als ausgesprochen problematisch erlebt wurde.
In Abschied von den Eltern sucht sich Weiss nun Schritt für Schritt von seiner Vergangenheit zu lösen, doch besteht diese nicht nur in einer Distanzierung von den Eltern, sondern ebenso in einer von dem Kind dieser Eltern, dem die Hitlerzeit, die Emigration aus Deutschland und die Flucht der Familie nach England, Prag und in die Schweiz weit weniger angehabt haben als so mache Äußerungen und Verhaltensweisen der Eltern dem Kind gegenüber. Sie zeigen Auswirkungen in verschiedenen gescheiterten Versuchen, einen Beruf zu finden und letztendlich in dem Gefühl, ein Versager zu sein. Dieses Kind nun verkörpert Peter Schröder auf der Bühne im Kammerspiel.
„Ein starkes Solo, das dem spärlichen Material aus Szene, Kostüm, Requisit mit Hilfe der flexiblen Rezitationsstimme und kleiner Aktionen aus Mimik, Gestik und Bewegung ein Maximum an Variationen entlockt.“ Diesem gleich nach der Premiere im Oktober 2018 in der Frankfurter Neuen Presse veröffentlichten Statement ist kaum noch etwas hinzuzufügen. Treffender ließe sich die Aufführung in den Kammerspielen unter der Regie von Kornelius Eich kaum fassen. Das Verdienst der äußerst eindrücklichen Vermittlung kommt vor allem Peter Schröder zu, der als grandioser Virtuose den Erzähler Weiss‘ Stück verkörpert. Während gut 90 Minuten agiert Schröder alleine auf der Bühne, nicht jedoch ohne dabei den Raum zu füllen und in aller Lebendigkeit eine Vergangenheitsaufarbeitung zu bestreiten. Es ist nicht Schröders erste Einpersonenaufführung auf der Frankfurter Bühne. Vielmehr hat er in gleicher hoher Qualität Die Legende vom heiligen Trinker wie auch Lenz verkörpert, um nur zwei Beispiele zu nennen.
Doch ist es überhaupt richtig von einer Einpersonenaufführung zu sprechen, wenn Peter Schröder Weiss‘ Abschied von den Eltern „vorträgt“? Verkörpert seine Person nicht zugleich den Protagonisten, dessen Vater und Mutter, die Hausangestellte Auguste oder den Schullehrer und nicht zu vergessen den von sich eingenommenen Besitzer eines großen Londoner Kaufhauses. Diese Vielfalt unterschiedlicher Personen auf die Bühne zu bringen, benötigt Schröder weder Kostümwandel noch Requisiten. Allein Kraft des schauspielerischen Vermögens – der Mimik, Gestik und des Körperausdrucks – werden im Verlauf von gut eineinhalb Stunden Aufführung die von Peter Weiss in Abschied von den Eltern erinnerten Personen auf der Bühne lebendig.
Wenn nun ein Stück gänzlich von der Stimme und Mimik eines Schauspielers getragen ist, bestenfalls noch eine Bewegung im Raum mit hinzutritt, aber jede Form von Interaktion fehlt, so stellt sich die Frage nach der Bedeutung von Bühnenraum und Kostüm. Welchen Anteil nehmen Ausstattungselemente an Vermittlung und Rezeption und in welcher Weise bilden sie ein Mehr zur schauspielerischen Leistung? Mit Sicherheit sind die Bühnengestaltung von Loriana Casagrande und die von Mareike Wehrmann veranlassten Kostüme ebenso wenig zu unterschätzen wie die Dramaturgie durch Judith Kurz.
Die durchaus als nüchtern zu beschreibende Bühnenausstattung weist eine aus genau drei Sitzplätzen bestehende Sesselreihe auf, die an einen nicht weiter spezifizierten Warteraum erinnert. Doch im Verlauf des Stückes wandeln sich danke der eindrücklichen Schilderungen Schröders vor dem inneren Auge die Sitze in einen Dachboden, der ein Album mit alten Fotos und einen Blick in ein Stück Vorgeschichte bereithält. Bisweilen meint man auch eine Schulbank, dann wieder eine Gartenbank zu sehen. An anderer Stelle ereignen sich auf den gleiche Sitzen schicksalsbestimmende Ereignisse im Leben des Protagonisten.
Am Schluss allerdings hat sich der Erzähler von den Sitzen gelöst, ist wieder eingetreten in den Bühnenraum und zugleich in die Gegenwart des Publikums. Weiss‘ Abschied von den Eltern nimmt einen weitgehend versöhnlichen Ausgang. toLookAt