Margret und Christine Wertheim Werte und Wandel der Korallen

Museum Frieder Burda, Baden-Baden
29. Januar bis 26. Juni 2022

Margaret and Christine Wertheim and the Institute For Figuring,
Red Nudibranch Reef, 2022 Photo © IFF by Rebecca Rickman

In farbenprächtigen Installationen breiten sich im gesamten Museum Korallenriffe aus, in denen alle Formen und Varianten vorkommen, die Korallen wohl aufweisen können und auf den ersten Blick scheint nichts die musealen Riffe von jenen zu unterscheiden, die sich Tauchern in küstennahen, vornehmlich den sonnendurchfluteten Gewässern in der Nähe des Äquators bieten. Doch treten Korallen nicht nur in tropische, sondern fast mehr noch in kalten Gewässern auf. Bis zu einer Tiefe von über 3.000 Meter breiten sie sich in ihrer geheimnisvollen Pracht aus. Im Gegensatz zu ihren Artgenossen in den Tropen, die auf eine Symbiose mit Algen angewiesen sind, ernähren sich die Kaltwasserkorallen von kleinen Lebewesen. Gemeinsam ist den an unterschiedlichen Orten auftretenden Korallen jedoch die Vielfalt an Formen und Farben. Manche erscheinen wie Blüten, andere wie besondere Baumarten.

Margaret and Christine Wertheim and the Institute For Figuring Pod World – Plastic Fantastic
at the 2019 Venice Biennale
Photo courtesy 58th International Art Exhibition – La Biennale di Venezia,
May You Live In Interesting Times, by Francesco Galli

Auf diese Formvielfalt reagieren die beiden aus Australien stammenden und als Künstlerinnen bereits bei der Biennale in Venedig 2019 hervorgetretenen Schwestern Margret und Christine Wertheim. Das eigens für Baden-Baden entstandene Korallenriff ist aus einem von den beiden Künstlerinnen angestoßenen Großprojekt hervorgegangen. Zur Mitarbeit luden sie länderübergreifend ein und baten um Zusendungen von Häkelarbeiten, die nach Anweisungen der Künstlerinnen ausgeführt sein sollten.
Das gemeinschaftliche Arbeiten ist zudem im Wesen der Korallen angelegt. Korallen bilden Gemeinschaften aus, die in einem symbiotischen Miteinander den Bestand sichern. Solche Gemeinschaft spiegelt sich nun unmittelbar in der Arbeit für Baden-Baden und reiht sich damit in eine aktuelle Tendenz in der Kunst, ist doch auch die kommende documenta in Kassel auf Gemeinschaften, auf Kollektive hin ausgerichtet.

Die von den Wertheims angestoßene Arbeit ist jedoch nicht nur ein ästhetisches Vergnügen. Denn die gehäkelten Korallenriffe erregen nicht nur in der Kunstwelt keinen Augenblick zu früh Aufsehen. Die Künstlerinnen initiieren sie zu einem Zeitpunkt, als ein allgemeines Korallensterben und die damit einhergehenden Folgen bekannt werden. So ist zwischen 1995 und 2017 der Bestand an Korallen um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Ursache für den dramatischen Rückgang sind die globale Erderwärmung, die zu steigenden Wassertemperaturen in den Weltmeeren führt wie auch die zunehmende Verschmutzung der Ozean – unter anderem mit nicht abbaubaren Plastikpartikellen.

Sicherlich sind die Künstlerinnen auch durch ihre Herkunft für Korallen sensibilisiert, befindet sich doch eines der weltweit größten Korallenriffe vor der Küste Queensland im Nordosten Australiens – bekannt als „Great Barrier Reef“. Hinzu kommt ein grundlegendes Interesse für Naturwissenschaften, dass die beiden Künstlerinnen dazu veranlasst hat, sich genauer mit der Lebensweise und vor allem der komplexen Struktur von Korallen zu befassen.

Einen weiteren Anstoß für das Häkelkorallenriff– so zumindest beschreibt es Margaret Wertheim – gab das sogenannte „hyperbolische Häkeln“ der Mathematikerin Daina Taimina. Hyperbolische Strukturen sperren sich gegen eine Abbildung auf einer Fläche, doch lassen sie sich mit Hilfe relativ einfacher Häkelmuster abbilden. Damit entpuppt sich das Häkeln als Methode einer Datenvisualisierung. In der Gesamtheit des Häkelkorallenriffs bildet jedes Einzelteil eine Datenpunkt in der Gesamtheit aller denkbaren hyperbolischen und nichteuklidischen Formen. Obwohl jeder Beitrag des Häkelkorallenriffs vom gleichen Ausgangsmuster angeregt ist, dominiert im Projekt endlose Vielgestaltigkeit. Sie entsteht nicht nur durch die individuelle Ausdeutung der Vorlage, sondern ebenso durch die höchst unterschiedlichen Materialien, die verarbeitet werden. Das sind nicht nur unterschiedliche Garne, sondern auch diverse Plastikabfälle, die einen wichtigen Verweis auf die Verschmutzung der Gewässer und die Ursache für das Korallensterben liefern.

Der übermäßige Verbrauch von Kunststoffen wird innerhalb der Ausstellung zusätzlich in einem großen Fangnetz demonstriert, das all den Plastikabfall der Museumsmitarbeiter während der Laufzeit der Ausstellung aufnimmt. Am Ende der Ausstellung wird der Zugang zum Museumsraum im Erdgeschoß wohl durch das Fangnetz vollständig verstellt sein und darüber buchstäblich vor Augenstellen, wie unbedachter Konsum Möglichkeiten zerstört. toLookAt