DM – Dis Manibus – den Geistern des Verstorbenen. Ein Künstlerbuch von Tatjana Bergelt

Tatjana Bergelt: Dis Manibus, 2020, Buch und Kassette Foto: J. Tiainen

Viola Hildebrand-Schat

Dis Manibus ist eine im antiken Rom geläufige Inschrift, auf die man auch heute noch immer wieder, vor allem bei Spoilien, stößt. Dis Manibus ist vor allem aber der Titel des neusten Künstlerbuches von Tatjana Bergelt. Seite für Seite führt die Künstlerin in eine komplexe Geschichte ein, in der sich der Lebensweg eines Kindes mit einer Untersuchung zur Rolle von Kindern im antiken Rom und aktuelle topografische Gegebenheiten der Stadt buchstäblich überlagern.

Der Eindruck der Überlagerung entsteht allein schon aufgrund der dem Medium Buch eigenen Form, die das schichtweise Übereinander der Blätter mit den verschiedenen Inhalten unmittelbar erlebbar werden lässt. Blattweise sieht sich der Betrachter Bergelts Buch in die komplexe Thematik eingeführt. So macht die Künstlerin zunächst mit einer Reihe lateinischer Inschriften vertraut, die sie an unterschiedlichen Orten vorfand. An erster Stelle steht ein Epigramm aus dem 2. Jahrhundert v. Chr., dessen mit Kürzeln gespickten Text sie in eine vollständige lateinische Version übertrug und anschließend ins Englische übersetzte. Der Unterschied zwischen Original und Übertragung wird im Buch deutlich, weil die vorchristliche Inschrift von der Künstlerin vor Ort vom Stein abgenommen wurde. Diesen Vorgang wiederholte sie so oft, dass jedes Exemplar der Auflage ihres Buches mit einem Originalabrieb ausgestattet ist. Die lateinische Übertragung wie auch die englische Übersetzung hingegen sind im Blinddruck auf die Seiten geprägt, so dass sie einerseits den von dem in Stein gemeißelten Originalschriftzug vermittelten Eindruck aufgreifen, andererseits in ihrer geheimnisvollen Zurückhaltung daran erinnern, dass das Epigramm eine Erinnerung heraufbeschwört, sich einem unbekannten Jenseits zuwendet.

Die nachfolgenden Seiten von Bergelts Buch erscheinen dann weitaus konkreter, führen sie doch über eine auf Karten verzeichneten Topographie und kartographische Übersichten des antiken Territoriums mit Straßenverläufen und Wasserwegen auf den Stadtraum zu, der in Aufnahmen vom Straßenpflastern, reliefierten Steinoberflächen, Bodenmosaiken und Wandfresken zunehmend bildhafter wird. Bei aller Unterschiedlichkeit ist diesen Motiven die zeitliche Verortung gemeinsam. Alle fotografisch erfassten Motive entstammen der Zeit, aus der auch eines der im Buch verarbeiteten Epigramme stammt, das ein Kind namens Neria Fortuna erwähnt. Die Aufnahmen scheinen den kindlichen Blick wiederzugeben, der sich seinen Weg durch die Stadt sucht.

Foto: J. Tiainen

Als Inspirationsquelle für ihre ausgefallene Themenwahl diente Bergelt neben den in Stein gemeißelten Inschriften die Dissertation einer finnischen Wissenschaftlerin – Roosa Kallunki, die dem Leben von Kindern im antiken Rom nachging und aufzuzeigen versuchte, wie sie in die religiösen und rituellen Praktiken eingebunden waren. Bergelt legt ihren Bezug offen, indem sie in ihr Buch Auszüge aus der Dissertation einbindet. Durch die textliche Referenz bringt sie zwar zu den verschiedenen Bildern und Techniken ein weiteres Element ein, reicht zugleich aber auch eine Art Erläuterung ihres eigenen Vorgehens nach.

Das in jeder Hinsicht dichte Buch ist in 13 Exemplaren in Rom, Helsinki und Weimar entstanden. Jedes Exemplar ist in einer Kassette aufbewahrt, deren Aufbereitung nochmals die Thematik aufgreift und die Auseinandersetzung mit dem Buch zu einem Abenteuer des Entbergens vollkommen macht.

Tatjana Bergelt