Die Wahlverwandtschaften im Schauspiel Frankfurt
Eduard, ein wohlhabender und gebildeter Mann, befindet sich in einer Ehe mit Charlotte, die ihm nicht mehr die Erfüllung gewährt, die er von einer Ehe erwartet. In der jungen Ottilie sieht er seine Herzensgefährtin, seine Wahlverwandte. Ottilie, die in der Obhut ihrer Tante Charlotte lebt, ist jedoch unschlüssig in Bezug auf ihre eigenen Gefühle und ihre Zukunft. Als weiterer Protagonist tritt Otto ins Spiel, ein alter Freund von Eduard und Charlotte. Die sich anbahnende Verwirrung der Gefühle spitzt sich zu, als Otto für einen längeren Aufenthalt bei Eduard und Charlotte weilt und seine Leidenschaft für Charlotte entdeckt. Von den vier in Beziehungen miteinander verwickelten Menschen überleben am Schluss nur zwei.
Die Wahlverwandtschaften von Johann Wolfgang Goethe: Das Schauspiel Frankfurt bringt sie dramatisiert auf die Bühne. Die Zuordnungen werden durch die Kleidung gegeben: Charlotte ganz in weiß, Otto in schwarz; Ottilie in weißer Bluse und schwarzer Hose, Eduard mit schwarzem Poloshirt und weißer Hose. Im Laufe des Spiels färbt der schwarze Boden der Bühne ab: So ganz weiß sind dann die weißen Kleidungsstücke nicht mehr.
Die Sprache ist unmittelbar an Goethe angelehnt, ein Großteil der Sätze wurden aus dem Text von Goethe übernommen. Doch trotz der durch die Texte signalisierten Nähe zum Original ist die Aufführung nicht historisierend; die Kostüme etwa hätten aus dem nächsten Kaufhaus kommen können.
Ab und zu kommt Heiterkeit auf: Zu Beginn der Aufführung steckt in Charlottes Hosenbund ein Brief., den sie irgendwann hervorzieht und sich freut: „Ein Brief des Grafen!“. Wieder Charlotte zieht ihren Pullover aus, steckt ihn unters Unterhemd und trompetet: „Ich bin schwanger.“ Und an einigen wenigen Stellen findet ein Schauspieler nicht sofort den richtigen Text und muss neu einsteigen oder improvisieren. Das Bühnenbild ist einfach, die Kostüme sind es auch. Nicht nur deshalb kommt ab und zu die Atmosphäre von ambitioniertem Schülertheater auf.
Auch Ottilie zieht ihr Oberteil aus, die Wäsche von ihr und Charlotte ist beide mal lachsfarben. Gleiche Farbe bedeutet Zusammengehörigkeit, das haben wir schon gelernt. Hält die Regisseurin eine Beziehung von Charlotte und Ottilie möglich? Eduard und Otto sind sich bereits körperlich sehr nahe gekommen. Bisexualität war für Goethe wohl kein Thema, in dieser Aufführung könnte man sie angedeutet sehen.
Charlotte (Manja Kuhl, *1981) und Eduard (Heiko Raulin, * 1972) passen mit ihrem Alter zu Goethes Geschichte. Ottilie (Marta Kizyma, * 1994) ist angemessen deutlich jünger. Otto (Torsten Flassig, * 1987) ist sichtlich weniger ein Altersgenosse von Eduard, eher schon im passenden Alter für Ottilie. In der Tat: Eine Beziehung zwischen Otto und Ottilie haben wir bislang nocht nicht angesprochen, ist auch bei Goethe kein Thema – diese Verbindung hätte kein Drama ausgelöst. Soll durch die Wahl der Schauspieler diese Möglichkeit angedeutet werden?
Und wie steht nun mit dem Bewusstsein? Das Stück ist klar: Wer Unbewusstem, Gefühlten, wenig Rationalem folgt, stirbt: Ottilie, Eduard und das gerade geborene Kind von Charlotte. Die Bewussten und Vernünftigen wirken manchmal etwas gefühlsarm, aber sie überleben: Charlotte, Otto und wohl auch Goethe selbst.
Das Bühnenbild besteht aus einer schrägen Rampe, vielleicht die schiefe Bahn, auf die einige Figuren geraten. Die Rampe steht nicht auf der Bühne, wo sie problemlos Platz hätte, sondern im Zuschauerraum. Damit gehen sieben Reihen Zuschauerplätze verloren. Zeigt diese Unvernunft die Sympathie der Aufführung mit dem unbewusst-unvernünftigen – oder ist dies eine Überinterpretation?
Wie auch immer: Diese Theateraufführung lässt das Publikum in die Welt der Geschichte eintauchen. Die Schauspieler liefern überzeugende und glaubwürdige Leistungen ab, die Inszenierung ist kreativ und ansprechend. Eine gute Beleuchtung, Kostüme und Bühnenbild tragen auch dazu bei, die Atmosphäre der Geschichte zu unterstützen. Die Aufführung fesselt die Zuschauer und bringt sie dazu, über die Themen der Geschichte nachzudenken, lange nachdem die Vorstellung vorbei ist. Frankfurt am Main