Viola Hildebrand-Schat
Wie jede neue Publikation lässt auch die jüngst von der Bibliothèque nationale du Luxembourg herausgegebene zur Sammlung der Künstlerbuch auf neue Erkenntnisse oder vertiefende Einblicke in die nach wie vor weder leicht zu greifende noch zu begreifende Thematik des Künstlerbuches hoffen. Innerhalb der akademischen Disziplinen hat das Künstlerbuch lange um seine Akzeptanz gerungen, sahen sich doch die am Buch interessierten Wissenschaften nicht zuständig, weil das Künstlerbuch nicht über textliche Vermittlung zu erschließen war, und die Kunstwissenschaft lehnte die Beschäftigung mit dem Künstlerbuch ab, weil sie dessen Stellenwert als Kunstwerk verkannte.
Auch wenn sich in dieser Hinsicht in den letzten Jahren einiges geändert hat und das Künstlerbuch sogar zum Gegenstand verschiedener Forschungsprojekte geworden ist, bleibt immer noch das Problem der Vergegenwärtigung seiner Präsenz, mithin auch das seiner Präsentation. Dem Kunstsammler liefert das Buch keinen repräsentativen Gegenstand, weil es seinen Platz im Schrank oder Bücherregal hat und nur zur Betrachtung hervorgeholt wird. Dem Buchliebhaber erscheint das Künstlerbuch im Vergleich zu geläufigen Büchern zu kostspielig, weil er nicht erkennt, dass sich der hohe Preis aus seinem Stellenwert als Kunstwerk begründet. Und in Institutionen, die Künstlerbücher trotz aller mit dem Gegenstand verbundenen Probleme sammeln, stellt sich die Frage nach seiner Ausstellbarkeit, lässt sich ein Künstlerbuch doch meist nicht an die Wand hängen wie Bilder und in einer Vitrine ausgestellt, bietet es nur eine Doppelseite zur Betrachtung. Dabei erschließt sich die Essenz des Künstlerbuches doch erst im Blättern wie überhaupt seiner Handhabung, wobei auch Materialien und deren Eigenschaften wesentlichen Einfluss auf die Rezeption nehmen.
Die unter dem Titel Vielseitig. Künstlerbücher aus der Sammlung der Bibliothèque nationale du Luxembourg in französisch und deutsch vorgelegte Publikation gliedert sich im Wesentlichen in vier Teile. Der erste wendet sich der mehr oder weniger historischen Form der sogenannten Malerbücher zu, einem von Verlegern und Galeristen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts veranlassten Genre, das sich bis heute behauptet hat. Zur Darstellung gelangen hier übe allgemein bekannten Namen wie Georges Braque, Fernand Léger, Frans Masareel, Jean Dubuffet oder Paul Gauguin Klassiker der Buchkunst. Der zweite Teil erfasst Beispiele von Künstlerbüchern, die im Zuge der konzeptuellen Kunstbewegung entstanden sind und durch die der Begriff „Künstlerbuch“ überhaupt erst für die Kunstgeschichte relevant geworden ist. relevante Vertreter sind Ed Ruscha, Daniel Spoerri, Christian Boltanski, Jean Tinguely oder Eleanor Antin. Der dritter Teil erfasst zeitgenössische Künstlerbücher, also Produktionen von aktuell aktiven Künstlern, wie Béatrice Coron, Hiltraud Schwanitz, Deeg und Lollis oder José San Martin. Selbstredend handelt es sich hier um einen Bruchteil von Beispielen, kann doch auch Vielseitig unmöglich die Fülle aller gegenwärtig Künstlerbücher produzierenden Künstler erfassen. Der vierte und letzte Teil konzentriert sich gänzlich auf Künstlerbücher, die im Luxemburgischen entstanden sind oder von Künstlern aus dem Luxemburgischen stammen. Beispielhaft zu nennen sind Coco Hansen, die mit dem spektakulär erscheinenden Brennender Dornbusch vertreten ist, der das Künstlerbuch zum Buchobjekt hin öffnet, Jean Delvaux‘ Leporello Comonautes, Raymond Weilands Historie d‘atelier oder Désirée Wicklers Ten Little Refuguees. Gerade dieser auf die regionalen Ausprägungen konzentrierte Teil erscheint besonders interessant, gibt er doch Einblick in einen Bereich, der sonst in der Literatur zum Künstlerbuch nicht explizit gemacht wird.
Über die vier Teile von Vielseitig werden vier höchst unterschiedliche Facetten angesprochen, die zugleich deutlich werden lassen, wie weit gefasst der Begriff „Künstlerbuch“ ist und wie wenig sich die darunter subsumierten Objekte übergreifenden beschreiben lassen. Diese Schwierigkeit zeigt sich auch bei der Publikation aus der Bibliothèque nationale du Luxembourg. Die einzelnen Kommentare zu den Büchern fallen höchst unterschiedlich aus. Geben einige vertiefende Einblicke in das Buch, lesen sich andere wie Werbetexte oder wie aus Wikipedia zusammengetragenen, jedoch nicht aussagekräftige Fakten. Das ist höchst bedauerlich, liegt doch gerade in der individuellen Beschreibung der einzelnen Bücher der Wert einer solchen Publikation. Schließlich verfügt die herausgebende Institution über die Bücher und eine Auseinandersetzung mit den zur Rede stehenden Objekten, die sich dann auch in den Texten widerspiegelt, sollte den Autoren möglich gewesen sein.
Doch auch erfreuliche Überraschungen hält die Publikation bereit, etwa die Darstellung von Burgi Kühnemanns Unikatbuch Kaffeeklatsch. Nicht nur ist das als Unikat gefertigte Buch an keinem anderen Ort einzusehen als in der Bibliothèque nationale du Luxembourg und somit ein für die Sammlung wertvolles, weil einzigartiges Objekt, auch handelt es sich bei Kaffeeklatsch um eine für die Künstlerin mehr oder weniger ungewöhnliche Form. Kühnenmann setzt sich bevorzugt mich Märchen und Fabeln auseinander, die sie über ihre künstlerische Ausgestaltung für die Gegenwart wirksam macht. Nun findet sich zwar auch bei Kaffeeklatsch das für Kühnemann charakteristische kritische Potential, doch fällt die Kombination der mit Gouache ausgeführten Porträts von Politkern mit Idyllen, die das schon vorbedruckte Papier, auf das sie aufcollagiert sind, aus dem geläufigen Duktus der Künstlerin heraus. Auffallend ist weiterhin, wie die von Kühnemann zusammengestellte Kaffeeklatschgesellschaft buchstäblich zerfällt, weil sie sich über die einzelnen Buchseiten verteilt. Sicher besteht darin eine Anspielung auf das Transitive solcher gesellschaftlichen Ereignisse, das sich zugleich auf de Vergänglichkeit geschichtlicher Prozesse übertragen lässt. Die beim Kaffeeklatsch verhandelten Ereignisse sind ebenso flüchtig wie die der Politik. Und vor diesem Hintergrund erhellt sich auch, warum Angela Merkel und Gerhard Schröder mit an der Kaffeetafel sitzen.
Kühnemanns Buch ist nur ein Beispiel unter vielen, das die Lektüre von Vielseitig fruchtbringend gestaltet. Viele weitere wären anzuführen, so etwa Valeria Gasparrinis Buch Quante insostituibili vite (Wie viele unersetzbare Leben), mit dem die Autoren von Vielseitig zeigen, dass die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust nach wie vor aktuell ist und immer wieder zu innovativen Formen der Visualisierung anregt. Beispielhaft sei nur der die Seiten zusammenhaltende Draht anzuführen, der sich anstelle einer festen Bindung um den Buchrücken windet.
Deutlich wird vor allem anhand von Vielseitig, dass die Auseinandersetzung mit dem weiten Feld des Künstlerbuches am besten exemplarisch gelingt. Anstatt nach allgemein gültigen Definitionen zu streben, die der Vielfalt des Genres ohnehin nicht gerecht werden, lässt sich der Gegenstand Künstlerbuch wohl am besten anhand der Spezifik einzelner Sammlungen begreifen und verstehen.
Vielseitig. Künstlerbücher aus der Sammlung der Bibliothèque nationale du Luxembourg / Multiple. Livres d’Artists de la collection de la Bibliothèque nationale du Luxembourg
Festgebunden, 423 Seiten, Deutsch / Französisch