Nach dem Schrei

© Christian Rothe

Zülküf Kurt

Jeder öffnet ein neues Fenster im Leben. Einige von uns schauen durch dieses Fenster, ohne sich jahrelang zu langweilen. Einige von uns mögen nicht, was von unserem Fenster aus gesehen wird. Einige von uns wollen ändern, was sie sehen. Meistens wissen wir nicht, wie weit wir in die Welt aus dem Fenster stehen, und wir sind nicht diejenige, die bestimmen, wo wir stehen sollen. Es gibt aber solche, die uns mit Farben erzählen, was sie durch das Fenster sehen. Einer von ihnen ist Ulrike Theusner. Ihre Zeichnungen, die verschiedenen Techniken, die sie anwendet, und die Tatsache, dass sie immer noch auf der Suche ist, lassen sie unter seinen Zeitgenossen einen Schritt voraus sein.

Tiere und Menschen, Rollen und Masken verflechten sich in ihren Gemälden. Ein Freundin hat mir eine Nachricht geschickt, nachdem sie einige Bilder von Ulrike Theusner gesehen hat: “Oh, Ulrike geht ganz in den Fußstapfen von Edvard Munch.” Nur so konnte sie ihre Eindrücke wiedergeben. Normalerweise finde ich es nicht richtig, einen sehr erfolgreichen Künstler mit einem anderen Kultkünstler zu vergleichen. Ich denke, dass ein solcher Vergelich die Originalität des Neuen überschattet und somit jeder Vergleich unangemessen ist. Aber nach dem Hinweis meiner Freundin komme ich nicht umhin zu fragen: „Was ist nach dem Schrei passiert?“.

Wir möchten Sie kennenlernen. Wer ist Ulrike Theusner Weimar?

Ich bin 1982 in Frankfurt/Oder geboren und arbeite als freischaffende Künstlerin vor allem im Bereich Grafik, Zeichnung und Malerei. 2008 habe ich mein Diplom an der Bauhaus- Universität Weimar gemacht. Zuvor habe ich einige Jahre an der Ecole des Beaux-Arts „Villa Arson“ Kunst in Nizza studiert. In der letzten Jahren habe ich an verschiedenen Orten gelebt und ausgestellt, u.a. in Berlin, Leipzig, Paris und New York. Zur Zeit lebe und arbeite ich in Weimar.

Sie machen Kunst mit vielen Techniken. Pastell auf Papier, Gouache auf Buchdruck, Foto und Acryl, Tusche auf Papier… Zusätzlich zu diesen Installationen… Warum wählen Sie verschiedene Methoden?

Für jedes Motiv gibt es eine Technik, die den Inhalt des Bildes am besten wiedergeben kann. Jede Technik hat ihre eigenen Vorzüge und Besonderheiten. Möchte ich z. B. ein Portrait sehr detailliert und akkurat wiedergeben und lege Wert auf die Feinheiten, wähle ich Kaltnadelradierung oder harte Pastelle. Bei der Kaltnadelradierung ritzt man direkt ins Metall mit einer sehr feinen Nadel und kann so überaus delikate und feine Linien erzielen, was mit einer anderen Technik unmöglich ist.

Möchte ich, dass der Zufall mehr Einfluss nimmt auf den Arbeitsprozess, eignen sich malerische Methoden mit Tusche oder Monotypie. Erfordert das Motiv großes, flächiges Arbeiten, eignen sich malerische Methoden besser als zeichnerische.

Manchmal ist es auch ein Foto, dass durch eine Übermalung einen anderen Charakter, eine andere Botschaft bekommt, wie in der Serie „Das Sanatorium“ in dem Fotos aus einem alten DDR Bildband von einem untergegangen Utopia zeugen. Durch die Farbigkeit, aufgetragen mit einer besonderen Gouache, und das Anbringen von kleinen Lichtern hinter dem Bild entsteht der Eindruck einer Entfremdung, als wäre dieses einmal real Existierende nur eine Erinnerung gewesen. Reales und Vergangenes, Erinnerung und Erträumtes vermischt sich miteinander – ein Thema, dass häufig vorkommt in meiner Arbeit, z. B. in der Zeichnung „It´s all a Dream eventually“

Oftmals ist es so, dass meine Motive in verschiedenen Techniken wiedergegeben werden, so untersuche ich die verschiedenen Wirkungsweisen. Derzeit beschäftigt mich beispielsweise die Ästhetik der Lithografie, eine Drucktechnik, bei der durch mehrere Druckvorgänge eine interessante Vielfarbigkeit erreicht werden kann.  

Diese Offenheit für verschieden Medien ist auch wichtig für die Arbeit, sie treibt den Prozess voran und hilft mir, mich ständig weiterzuentwickeln, neue Techniken auszuprobieren und dazuzulernen. 

Im Jahr 2017 habe ich nicht eine einzige Zeichnung gemacht, sondern ausschließlich Installationen, wie z. B. die Arbeit „City II“, die von meinen Aufenthalten in Los Angeles geprägt war – eine spiegelglatte, narzisstische und flirrende Stadt, in der sich exotisch wuchernde Botanik in ihrer Ursprünglichkeit mit den künstlichen Fassaden der Häuser mischt. 

Im darauffolgenden Jahr bin ich dann zur Pastellzeichnung gekommen, die geprägt war von einem besonderen Fokus auf das Detail, Akkuratheit und filigranem Arbeiten, etwas, was ich sicherlich durch die Auseinandersetzung mit den filigranen Strukturen meiner Installationen zu verdanken hatte. So bedingen die verschiedenen Techniken oftmals einander.

Tierfiguren sind auf Ihren Bildern ganz offensichtlich, besonders Wölfe. Warum Wölfe?

Es sind Raubtiere, Wölfe, Füchse und besonders oft Hyänen, die in meinen Bildern vorkommen. Sie symbolisieren verschiedene Aspekte. Zum einen den inneren Seelenführer, zum anderen die inneren Dämonen. So haben sie je nach Betrachtung etwas Beschützendes sowie etwas Bedrohliches. Diese Zweideutigkeit mache ich mir in den Bildern zunutze und lasse geisterhafte Hyänen durch eine vermeintlich posthumane Landschaft streunen wie in der Serie „Gespenster“ oder ein Hunderudel den zum Hirsch verwandelten Aktaion angreifen wie in „A Rake´s Projekt“.  Sind es unsere eigenen Seelenführer, die sich gegen uns wenden, weil wir den Zugang zu Ihnen nicht mehr herstellen können in unserer komplizierten, fremdbestimmten Welt?

Auffällig sind auch Skelette. Möchten Sie betonen, dass wir alle ohne Rollen und Identitäten gleich sind?

Ja, das kann man so interpretieren. Der Tod ist allgegenwärtig und sitzt uns immer auf den Schultern. In meinen Zeichnungen wird er oft personifiziert als Alter Ego oder wie ein alter Bekannter. Besser, wir freunden uns mit ihm an, was bleibt uns anderes übrig? 

Wie erscheinen Geschlechterrollen in Ihren Gemälden?

Die Porträtierten in meiner Arbeit entstammen oft meinem unmittelbarem Umfeld und ich nehme sie so, wie sie sind, zumeist auf der Suche nach Selbstbestimmtheit und Individualität. Auf dieser Suche spielen auch die Identifikationen mit Geschlechterrollen und die eigene Sexualität ein Rolle, so wie in der Zeichnung „Two Boys Kissing“. In unserer Gegenwart lösen sich Geschlechterrollen allmählich auf, eine Entwicklung, die immer viel zu langsam vonstatten geht, denn erst wenn wir uns davon befreien, kann eine wirkliche Gleichberechtigung der Geschlechter erreicht werden. Dabei muss der Mann sich ebenso emanzipieren von seiner Rolle wie die Frau. In meiner Serie „Beautyqueen“ geht es darum, wie kleine Kinder schon sehr frühzeitig in eine Rolle gedrängt und sexualisiert werden und dann geschminkt und frisiert wie erwachsene Frauen wie hilflose Puppen wirken.

Der Schriftsteller, Psychologe und Psychoanalytiker Arno Gruen lädt uns mit seinem Buch “Der Fremden in uns” zu einen Zusammentreffen ein. Wenn ich Ihre Malereien sehe, stellt sich mir ebenfalls die Frage nach dem Zusammentreffen. Müssen wir gegen unserem Schicksal sein? Was liegt unter unseren Masken?

Ja durchaus kann man die Kunst als eine Einladung betrachten, sich selbst kennenzulernen. Ein Kunstwerk kann den Betrachter widerspiegeln und tief verborgene Gefühle freilegen, es kann ein Ventil sein, ein Pfad, der uns zu uns führt, zu unseren Ängsten, Träumen, Sehnsüchten, Hoffnungen. Es ist ein Prozess der Bewusstwerdung und eine Form, sich mit sich selber auseinanderzusetzen. Kunst in ihren vielfältigen Formen und Ausdrucksweisen ist für uns Menschen essenziell.

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