Mephisto: Alles, was in der Stille wächst

© Arno Declair

Zülküf Kurt

„Ich muss, muss, muss berühmt werden.“

Klaus Mann, Tagebucheintrag

Klaus Manns im niederländischen Exil 1936 verfasster Roman Mephisto tritt in diesen Tagen in dramtisierter Form im Schauspiel Frankfurt vor das Publikum. Trotz der Corona-Pandemie zieht das Stück, das am 3. Oktober seine Premiere hatte, große Aufmerksamkeit auf sich.

In Mephisto zeichnet Klaus Mann in der Rolle des Hendrik Höfgen die ambivalente Karriere nach, die Gustav Gründgens im nationalsozialistischen Deutschland verfolgte. Mann schildert, wie Höfgen alten Freundschaften den Rücken kehrte und zielstrebig seinen Weg als Theatermann verfolgte. Dass nun Mann die Rollen in mehrfacher Weise verquickt, indem er in Höfgen Gründgens nachzeichnet und diesen wiederum als Mephistophels auftreten lässt, ist gleich mehrfach motiviert: zum einen dadurch, dass Gründgens 1932 am Preußischen Staatstheater in Berlin in der Faust-Aufführung tatsächlich den Mephisto spielte, zum anderen – und dieser Aspekt ist weit schwerwiegender – rekurriert Mann auf den Menschen, der um weltlicher Reichtümer willen seine Seele dem Teufel verkauft bzw. im Roman Freunde der Karriere opfert. Dieser Sachverhalt wird Mann besonders bitter aufgestoßen sein, nicht nur weil er selbst mit Gründgens befreundet war, und Gründgens durch seine Ehe mit Manns Schwester Erika für einige Jahre der Mannschen Familie angehörte. Bei dem skrupellosen Seelenverkäufer wird Mann auch Adalbert Chamissos Peter Schlemil vor Augen gestanden haben. İn Chamissos Roman wird zudem das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung explizit, was zu der Frage führt, welche Gegenleistung Höfgen resp. Gründgens den Nazis lieferte. Spätestens an dieser Stelle zeigt sich, wie schwer es ist, aus der Retrospektive über Entscheidungen zwischen vermeintlich Gut und Böse urteilen zu wollen. Eıne eindeutige Antwort auf die Frage nach Höfgens Position bleibt aus. Was jedoch allenthalben “entgegenschallt”, ist Schweigen – ein Schweigen, dass nicht nur Höfgen bewahrt, sondern ein Schweigen, das sich über die Nazigreueltaten legt. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, wie aktuell die Thematik eines sich zwischen Machtwollen, Karriere und Moral entspannenden Strebens nach wie vor ist. So blieb es auch nicht aus, dass Manns Mephisto bei seinem Erscheinen heftige Diskussionen ausgelöst hatte und in Westdeutschland sogar verboten war.

Aller Schwierigkeiten zum Trotz, die die Dramatisierung eines Romanes mit sich bringt, meistern Regie und Schauspieler des Schauspiels Frankfurt die Aufgabe bravourös – und dass, aller Hygienmaßenahmen, die selbst auf der Bühnen zu einem Abstand aufrufen, zum Trotz. Vielleicht liegt auch gerade hier eine Erklärung für die eigentümliche Dynamik der Inszenierung. Vor allem ist die Aufführung zeitlos, insofern sie weder durch Kostüme noch durch Bühnenausstattung einen Zeitbezug andeutet. Stattdessen nutzen die Schauspieler Dekor und Backstage ausschließlich für den Kostümwechsel, der sie in verschiedene Rollen stellt, gleichzeitig aber auch das Publikum unmittelbar am Stück Teil haben lässt.

Alle Schauspieler repräsentieren weniger die Charaktere des Romans als die mit ihnen verbundenen Typen. Die Typen sind zeitenübegreifend, weshalb auch die Übertragung des in den 1930er Jahren abgefassten Romans in ein Schauspiel der Gegenwart funktioniert. So gibt es innerhalb des inszenierten Stücks auch keine feste Rollenverteilung, vielmehr repräsentieren reihum einzelne Schauspieler die verschiedenen Charaktere. Rollen und Typen scheinen ineinander zu gleiten, gerade so, als solle deutlich werden, dass ein Mensch sich nicht auf einen Typus festlegen lässt, was auch als Erklärung für den gleitenden Übergang zwischen Täter, Mitläufer und Opfer herangezogen werden könnte. Doch unabhängig davon, wie man den Rollenwechsel deuten will, liefert er ein eindrückliches Stück Schauspielkunst. Auch wenn die Leistung aller Schauspieler das Publikum in jeder Hinsicht überzeugte, zeigten sich Melanie Straub und Sebastian Kuschmann in ihrem Spiel besonders eindrücklich, ging doch ihr Beitrag weit über eine bloße Rollenwiedergabe hinaus.

Regie: Claudia Bauer

Bühne: Andreas Auerbach

Kostüme: Vanessa Rust

Musik: Peer Baierlein

Dramaturgie: Katja Herlemann

Live-VideoBenjamin Lüdtke

Besetzung: Paula HansAnna KubinSebastian KuschmannKatharina LinderChristoph Pütthoff:, Fridolin SandmeyerMelanie StraubMark TumbaAndreas Vögler