Gespalten

©Dora Ostrovsky Art Hub Gallery Mykola Ridnyi-Under Suspicion 768×432

Zülküf Kurt

Bei Dora Ostrovsky Art Hub Gallery ist aktuell eine von Boris Mikhailov kuratierte Ausstellung junger urkrainischer Künstler zu sehen. Mit Werken vertreten sind neben Mikhailov selbst Alina Kleytman, Sasha Kurmaz, Vlada Ralko und Mykola Ridnyi. Gemeinsam ist den künstlerischen Ansätzen bei aller Unterschiedlichkeit der schonungslose Blick auf den von Armut und Gewalt geprägten Alltag. Die Künstler konfrontieren den Betrachter mit Situationen, in denen er oder sie zum Beobachter von Beobachtung wird, die entweder voyeuristische Züge annimmt oder der Kontrolle und Überwachung dient.

Die Leitlinie scheint mit den Arbeiten von Boris Mikhailov vorgegeben – vier Fotografien, deren Sujets deutlich von den Spuren der Zeit, vornehmlich der sowjetischen Vorherrschaft in der Ukraine, gezeichnet sind. Dominierend sind Industriebauten, Güterzüge und Kontainer, doch jeweils nur in Ausschnitten und darüberdicht an den Betrachter herangerückt wiedergegeben. İn der ausschnitthaften Vergrößerung treten umso prägnanter die Schrunden der Zeit – Risse in den Oberflächen, Rost und all jene Spuren des Gebrauchs mit aller Schärfe hervor. Die sich hier bekundende Verwahrlosung ist aber auch symbolisch zu werten, geht sie doch mit einer längst überlebten Epoche konform, in der einzig die Anwesenheit von Menschen eine Zukunft ahnen lässt.

Alina Kleytman vereinnahmt den Besucher gänzlich durch eine Beobachtung, die ihn oder sie unweigerlich zum Voyeur macht, denn das von der Künstlerin bereitgestellte Video ist lediglich durch ein schlüssellochgroßes Loch in einer Tür zu sehen. Und die im Video aufblitzenden Szenen sind offenkundig der von Geldwäsche, Schwarzhandel und Prostitution gezeichneten Unterwelt entnommen. Dass auf den erfassten Szenen Frauen im Mittelpunkt stehen, erinnert an die hohen gesellschaftlichen Erwartungen, die sich unter sowjetischem Regime speziell an Frauen richtete, die neben der selbstverständlich von ihnen erwarteten Berufstätigkeit auch die Sorge für Haushalt und Familie zu tragen hatten udn daneben für ihren Ehemann eine attraktive und jederzeit verfügbare Partnerin zu sein hatten.

Nicht weniger der Beobachtung gewidmet, wenn auch unter einem anderen Blickwinkel, sind die Arbeiten von Mykola Ridnyi. Ridnyi zeigt unter Titeln wie „In Daylight“, „Blind Spot“ oder „Under Suspicion“ Serien von Schwarz-Weiß-Fotografien, die deutlich werden lassen, dass es hier um Kontrolle und Überwachung geht. Den Sujets zufolge – Szenen des täglichen Lebens, Menschen auf Straßen und Plätzen – unterliegt der gesamte Alltag einer ständigen Überwachung durch den Staat. Auf den Fotografien sind wie auf Polizeifotos Stellen mit einem Stift rot markiert, die für das unbefangene Auge vollkommen harmlos scheinen. Doch durch die rote Markierung wecken sie unweigerlich den Verdacht, dass hier etwas vorgeht, was besser im Blick gehalten werden sollte, sprich: kontrolliert, überwacht werden muss, was wiederum das autoritäre Staatsystem charakterisiert. Wenngleich auch auf Schwarz-Weiß-Fotografien basierend verfolgt „In Daylight“ eine völlig andere Thematik. Erfasst sind ausschließlich Händen mit den unverkennbaren Gesten einer Art Zeichensprache. Da es sind hier durchweg um Handzeichen handelt, die den irreversiblen Einfluss des Populismus auf die Politik demonstieren, ist auch dieses Bildserie politisch konnotiert.

Eine Art Zeichensprache liefern auch die Schlagringe, die Sasha Kurmaz unter dem bezeichnenden Titel „Arguments“ zusammengestellt hat. Ohne weiteren künstlerischen Eingriff ergibt sich die Aussage der Arbeit bereits aus der Zusammenführung von Werkzeug und Titel. Die in den Verhandlungen einer von Gewalt geprägten Szene gebräuchlichen Argumente bestehen in purer Gewalt jenseits von Worten.

Nicht weniger politisch als die Fotografien von Ridnyi sind auch die Arbeiten „Highway to Taras“ und „Silent Zone“ von Vlada Ralko. „Highway to Taras“ ist inspiriert von dem ukrainischen Dichter Taras Shevchenko. Im Mittelpunkt steht eine überdimensionale Axt, stellvertretend für die Arbeit des Landwirts, doch gleichzeitig enthält das Motiv über eine kleine Farbspur einen Verweis auf die häufig nicht sichtbare werdende Arbeitskraft von Frauen. Auf diesen Sachverhält nimmt Ralko erneut Bezug mit ihrem Künstlerbuch „Silen Zone“. Es basiert auf Bildern aus einem alten sowjetischen Kochbuch. Sie zeigen die Handgriffe, die in der Küche für die Zubereitung von komplizierten Speisen notwendig sind, von denen aber nichts mehr merkbar ist, wenn die Gerichte äshtetisch aufbereitet auf den Tisch kommen. Die sorgfältig gefüllten Pasteten, Aufläufe und Kuchen lassen schnell vergessen, dass zu ihrer Erstellung das Entweiden von Tieren, das Zerlegen von Fleisch und das Mischen von Zutaten notwendig ist.

Die Ausstellung bei Dora Ostrovsky Art Hub Gallery ist noch bis Januar 2021 zu sehen.