Vergiss nicht, was passiert ist!

© Schirn Kunsthalle Frankfurt

Zülküf Kurt

“Entweder ist er tot, oder meine Uhr hat aufgehört”

Groucho Marx

Das Zitat von Groucho Marx, Wortführer der Marx Brothers, steht wie ein Motto über der aktuellen Ausstellung des iranischen Künstlerkollektivs in der Schirn Kunsthalle. Zu sehen sind Werke von Ramin Haerizadeh, Rokni Haerizadeh und Hesam Rahmanian. Entstanden ist die Installation in ihrem Haus in Dubai, doch das Themenfeld ist weit gefasst. Die Künstler schlagen den Bogen von einer durch Krieg und Unruhen erschütterten Region in die Welt der Kunst. Groucho Marx’ Ausspruch ‚“Entweder ist er tot, oder meine Uhr hat aufgehört“ ist zugleich der Titel einer Installation, in der sich vielschichtige Erzählungen verflechtet: der Iran-Irak-Krieg, das Vergessen des Leidens während und nach dem Krieg, Flucht und all die mit der Migration verbundenen Probleme, nicht zuletzt auch das Erinnern und das Vergessen. All dies sind Themen, die auf die aktuellen Probleme reagierend, sich zu nahezu absurd anmutenden Erzählungen formen, die in Videos als visuelle Collagen hervortreten. In Erinnerung gebracht werden aber auch die Revolution im Iran und der Fall Saddam Husseins.

Die unter einem Baldachin aus Stoff installierten Videos erfassen zum einen das Leben im Iran vor der Revolution, zum anderen eine Schwarz-Weiß-Sequenz, deren markantestes Motiv wohl das eines Esels ist. Stilistisch erinnert es an Picassos Gemälde, das der Künstler in Erinnerung an die Zerstörung der Stadt Guernica erstellte. Aus der Gegenüberstellung der beiden Arbeiten erschließt sich, wie sehr die Islamische Revolution das Leben im Iran verändert hat. Zugleich scheinen die beiden Arbeiten die Leitlinie für das Konzept und die in die Ausstellung aufgenommen Werke vorzugeben. Die wie aus Rauch aufsteigenden Bilder von Tierfiguren oder einer ein Handy umklammernden Hand erinnern an den Geist, den Aladdin mit seiner magischen Lampe beschwört. Die Motivekombinationen schlagen so einen Bogen von der Mythologien und den Legenden des Nahen Ostens zur Gegenwart.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang eine ausgreifende Bodeninstallation, bestehend aus aus miteinander verflochtenen Zeichnungen – Zeichnugenn, die als Notate des Gedächtnisses zu lesen sind, sich mit den Eindrücken des permanenten Handy-Gebrauchs verquickend letztendlich auf die Verschränkung von real Erlebtem und medial Erfahrenem reagieren. Nicht weniger eindrücklich sind eine von der Arhythmie eines Flusses geprägte Installation oder das riesige auf Stoff gedruckte Plakat, dass eine Frau zeigt, die einen Schädel und Knochen in den Händen hält und offenkundig den Verlust ihres Kindes beklagt. Die Knochen, die sinnbildlich für all die Söhne, Ehepartner oder Verwandten stehen, die dem Krieg zum Opfer gefallen sind, verweisen global auf eine Situation, die nicht nur als Tragödie des Nahen Ostens, sondern aller Krisengebiete der Welt zu bezeichnen ist. Direkt unter dem Bild, in der Mitte der Ausstellung befindet sich eine Art Brunneninstallation, die sich mit Stimmen dem Rauschen von Wasser verbindet. Das Wasserrauschen scheint die Klagen und Sorgen zu verschlucken.

Eindrücklich ist auch die sich unmittelbar dem Motiv anschließende Videoinstallation, die das Schicksal von Flüchtlingen erfasst. Gezeigt werden die Marschrouten zu den Grenzen und an die Küsten, schließlich auch, wie die Leichen der auf der Fluch Ertrunkenen an Land gespült werden, wie Boote explodieren, die versuchen Kinder zu retten. Die Bilder zwingen den Betrachter, sich auf die Erfahrungen der vom Krieg vertriebenen Menschen einzulassen und uns mit der geringen Solidarität ihnen gegenüber auseinanderzusetzen.

In Verbinung mit dem Video erscheint die Aufschrift auf einem Soldatenhelm wie eine Mahnung und Aufforderung zu gleich. „Aufwachen! Lassen Sie uns die Welt mit neuen Augen sehen.“ Doch können wir aufwachen? Auch die ein eigenes Objekt formenden Keramikteller mit ihren diversen Figuren und Motiven vermitteln das Gefühl, in einen Spiegel zu schauen. Auf dem Plattenrund blicken uns Bilder aus den Aktionen von Black Lives Matter entgegen. So werden Gegenstände, die wir jeden Tag verwenden, zu einem Werkzeug der Erinnerung.

Während der Vorbereitung der Ausstellung nahmen die Künstler auch ihre Schreibtische, Esstische und die von ihnen verwendeten Materialien auf und dokumentierten ihren Arbeitsalltag von Montag bis Sonntag, was unter anderem über die  regelmäßige Wiederholung der Wochentage in einem Lied deutlich wird. Zusammen mit den in der Ausstellung gezeigten Objekten entsteht der Eindruck, sich in eine Endlosschleife begeben zu haben.

Die Ausstellung ist bis zum 13. Dezember 2020 in Schirn Frankfurt zu sehen.