Schauspiel Frankfurt
Der Stoff für das von Joanna Bednarczyk für die Frankfurter Bühne konzipiere Stück findet sich in den Lebenserinnerungen der 1918 in Kopenhagen geborenen Dichterin Tove Ditlevsen. Aufgeteilt nach Kindheit, Jugend und Sucht hat sie zwischen 1967 und 1971 ihre Autobiografie veröffentlicht. Vor allem der Titel des dritten Teils verrät, welchen Lauf ihr Leben nimmt. Aufgewachsen in einem Arbeiterviertel sieht sich Ditlevsen von Anbeginn den in ihrem Milieu festgeschriebenen Geschlechterrollen konfrontiert. Und diese besagen, dass eine Frau nicht Dichterin werden kann. An diesen starren Vorstellungen zerbricht Ditlevsen letztendlich. Nach ihrem frühen Schulabschluss arbeitet sie in wechselnden Stellungen als Haushaltsgehilfe, als Küchenmädchen, als Lager-, schließlich auch als Bürokraft und Sekretärin. In ihrer freien Zeit widmet sie sich dem Verfassen von Gedichten, nicht zuletzt ermutigt durch die Bekanntschaft mit einem Antiquariatsbuchhändler. In dieser Beziehung erlebt sie zum ersten Mal als Person mit ihrem Fähigkeiten wahr- und ernstgenommen, nicht aber als Frau geliebt zu werden.
Nach einem ersten Publikationserfolg mit einem ihrer Gedichte in einer kleinen literarischen Zeitschrift, kann sie mit der Unterstützung des Redakteurs 1939 ihren ersten Gedichtband veröffentlichen. Doch der erhofften endgültigen Ablösung von ihrer Vergangenheit stellen sich weitere Hindernisse in den Weg. Weder ihre erste Ehe mit dem literarische versierten Redakteur noch die zweite mit einem deutlich jüngeren Studenten aus dem Kopenhagener Künstler- und Intellektuellenmilieu bringen die ersehnte Befreiung von Vorbehalten und gesellschaftlichen Konventionen. Bei ihre dritte Ehe, die sie ausschließlich eingeht, weil sie von ihrem Ehemann das für sie notwendige Narkotikum beziehen kann, ist sie bereits drogenabhängig. Die sich dennoch andeutende Befreiung – sowohl aus ihrer letzten Ehe wie von den Drogen, getrieben von der Angst, ihre Kinder wie auch die Fähigkeit zum Schreiben zu verlieren, endet mit Selbstmord.
Die Schilderung von Tove Ditlevsen Lebens auf der Frankfurter Bühne vollzieht sich vor dem spannungsreichen Hintergrund von Wunsch und Wirklichkeit. Ditlevsen. Unverständnis für ihre seelischen Empfindungen und heimlichem Wünsche nach einem kreativen Dasein prägt ihre Kindheit. Diese Erfahrung überträgt sich in ihre Jugend und ihr junges Berufsleben. Ihr entkommt sie nur in den heimlichen Mußestunden, in denen sie sich dem Schreiben widmen kann. Auch das allmähliche Vordringen in das Intellektuellenmilieu mildert die innere Spannung nicht. Und ebenso wenig findet Ditlevsen Geborgenheit in ihren Ehen. Krankheit und Medikamentenabhängigkeit scheinen fast eine notwendige Konsequenz, umso mehr, wenn man die Zeitumstände bedenkt, in denen Frauen wenig Rechte für Eigenes beanspruchen konnten.
Dem kargen Stil des Beschreibens von Personen und Situationen, der die die biografischen Aufzeichnungen Ditlevsen charakterisiert, setzt die Frankfurter Inszenierung ein abwechslungsreiches Bühnenbild entgegen. Das Bemühen um Realistik, das Bestreben mittels Aufrichtigkeit den Darstellungen größtmögliche Glaubwürdigkeit zu verleihen, bildet die Folie eines lebendigen Spiels.
Joanna Bednarczyks Schauspielfassung beruht auf den als »Kopenhagen-Trilogie« ins Deutsche übertragenen biografischen Arbeiten wie weiterer Romane von Tove Ditlevsens Werken. Einbezogen wird weiterhin der Roman »Gesichter«, in dem die Autorin die Wahrnehmungsverschiebungen einer Psychose schildert. Der Bühnenbearbeitung der Texte von Ditlevsen von Bednarczyk fügt sich die Regie der polnischen Regisseurin Ewelina Marciniak, die mit Tove, deren Mutter und deren Freundin Nadja drei höchst unterschiedliche Lebenswege nachzeichnet, aber auch deutlich werden, welchen Preis die ihren Ambitionen und ihrem Vermögen treu gebliebene Protagonistin zu zahlen hat.
Die Inszenierung stützt sich auf ein abwechslungsreiches Bühnenbild, das mit einem Bildzitat einen fulminanten Auftakt erhält. Nachgestellt ist Vermeer Gemälde Dienstmagd mit Krug, auf dem einen junge Frau in einer niederländischen Stube zu sehen ist. Dies nun liefert den Rahmen, um die Mutter Tove Ditlevsen in ihrer sozialen Rolle zu verorten. Ihr tritt vom Bühnenhintergrund die literarisch ambitionierte Tochter Tove entgegen, die zunächst in zeitgenössischer Alltagskleidung ihren literarischen Aufstieg durch einen Kleiderwechsel markiert. Die Straßenkleidung weicht Abendkleidung, deren schillernde Stoffe zugleich als Reflex auf das schillernde Umfeld werfen, in dem sich die junge Frau mit ihren literarischen Arbeiten bewegt. Trotz ihrer Erfolge, die sich auch ökonomisch auf das Leben der Familie auswirken, darf sie nicht auf Gleichberechtigung neben ihren diversen Ehemännern hoffen. Nach wie vor bleibt sie in der typischen Rollenzuschreibung von Ehefrau, Mutter und Hausfrau gefangen. An der Fülle der Aufgaben und Anforderungen zerbricht Tove Ditleven allmählich. Die Inszenierung hält für den allmählichen Untergang verschiedene Motive bereit, so einen Wassertümpel, der von Anbeginn signalisiert, das alle bisweilen den Boden unter den Füßen verlieren, vor allem aber als weiteres Bühne auf der Bühne ein Badezimmer – Wunsch und Ziel des gesellschaftlichen Aufstiegs, im Verlauf der Aufführung aber auch Bild des Untergangs, wenn Tove Ditlevsen in der Badewanne versinkt. Wirken die ersten Szenen mit und in der Badewanne zunächst wie eine unterhaltsame Anekdote, sind sie am Schluss Inbegriff des Untergangs.
Besetzung der Rollen:
Sarah Grunert (Tove)
Uwe Zerwer (Toves Vater / Viggo F.)
Anabel Möbius (Krankenschwester / Frau Løngren / Die Vermieterin / Gitte)
Stefan Graf (Edvin)
Caroline Dietrich (Nadja)
Andreas Vögler (Ebbe)
Sebastian Kuschmann (Gert)
Livia Newzella / Rebeka Turré (Toni / Hanne)
Bühne: Grzegorz Layer
Kostüme: Julia Kornacka
Musik: Jan Duszynski
Lichtdesign: Aleksandr Prowaliński
Licht: Marcel Heyde
Choreografie: Dominika Wiak
Dramaturgie: Katja Herlemann, Joanna Bednarczyk